Ex Vanity-Fair-Mann Jörg Harlan Rohleder begeistert mit seinem Slacker-Stadtrand-Skaterroman „Lokalhelden“: Eine stilsichere Reise in Grunge-Abründe und McDonald’s-Lifestyle der Neunziger.
„Skaten ist die perfekte Slackerkultur, denn es bedeutet, wirklich viel rumzuhängen und im Endeffekt ist es auch der härteste Sport. Denn du bist einfach nur zehn Zentimeter überm Beton und meistens fällst du nicht hin, wenn du irgendeinen Trick probierst oder in der Halfpipe fährst, sondern du fällst hin, weil du einen Kieselstein streifst, deine Rolle zehn Zentimeter weiter stehenbleibt und das so schnell geht, dass du direkt mit dem Gesicht auf dem Beton landest.“ Jörg Harlan Rohleder erinnert sich an seine Jugend, so lang ist es auch wieder nicht her, in Echterdingen nahe Stuttgart, dort, wo seine „Lokalhelden“ leben.
„Ich bin in Stuttgart aufgewachsen, in der Zeit, in der das Buch spielt, in den 90er Jahren“, sagt der heutige Musikexpress-Redakteur. „Ich bin Skateboard gefahren, ich war auf der Schule, die im Buch einen anderen Namen trägt, aber ich glaube, sie kreuzen sich nicht so oft, dass es sich lohnen würde, eine Spurensuche zu machen.“ Aber es lohnt sich, „Lokalhelden zu lesen. „Ich glaube, es ist ein klassischer Coming-of-Age-Roman, ich glaube, es geht in erster Linie ums Erwachsenwerden. Es geht um den ersten Kuss, ums erste Mal kiffen, es geht um das erste Mal enttäuscht sein, es geht um Freundschaft und wie es sich anfühlt, Freunde zu verlieren.“
Die 15-jährigen Lokalhelden Enni, Brownsen, Wolle und Schmall sind jung, planlos, kommen immer zu spät. Sie ziehen sich mit Mutter-Witzen auf und lästern: „Ey, dein Stammbaum ist ein Kreis.“ Sie hängen lieber gemeinsam an der Halfpipe ab, anstatt irgendwelche Kuschelrock-Freundinnen zu besuchen. Um musikalisch zu sein reicht es in den „God is a DJ“-Zeiten der Neunziger, über hundert Vinyl zu besitzen. Das „Trasher Magazin“ ist ihre Skateboard-Bibel und der eigentliche Grund, weshalb sie im Englischunterricht aufpassen. Gäbe es weder die brutalen Zeugen Jehovas-Schläger und GTI-Prolls, noch HipHop-Dilettanten wie „Jiggy Vara, das Reimemonster aus Leonberg“ – ihr Leben könnte sich perfekt anfühlen.
„Ich glaube, damals war vieles einfacher“, sagt Jörg Rohleder im Interview, „20-Jährigen wird heute gleich mitgegeben, dass es schwierig ist, einen Job zu bekommen, sie werden ermahnt, Praktika zu machen, dann machen sie zu viele Praktika und werden zur Generation Praktikum. Ich glaube, in den 90er Jahren war es genau andersrum, das war so anything goes, ihr könnt machen, was ihr wollt. Mein Direktor meinte in der Abiturrede, ihr könnt Kanzler, Astronaut, Pulitzerpreisträger werden, und ich glaube, meine Freunde und ich hatten einfach eine Chance zuviel. Das heisst, wir konnten zwar alles machen, haben es aber vorgezogen, noch ein Sixpack zu trinken.“
Hier trifft sich der Autor mit seinen Figuren, Roman- und tatsächliches Leben kommen zusammen, Skater bleibt Skater: „Das beinhaltet, nicht mehr zu Hause Mittagessen. Das beinhaltet, viel rumsitzen, auf den Boden spucken, vier Leute sitzen, einer macht einen Trick. Von fünfzig Versuchen klappen drei. Man hat über Jahre kaputte Beine“, sagt Jörg Rohleder, „mit mir war es so, ich bin aufgestanden teilweise, bin ins Bad gehumpelt, habe geduscht, bin aus der Dusche rausgehumpelt, bin runter, habe ein Brötchen mitgenommen, humpelnd, und in dem Moment, wo ich wieder auf dem Brett stand und angeschuckt hab‘, hat es nicht mehr wehgetan.“ Das ging über Jahre so – zum Glück, denn nur deshalb kann dieses Debüt so lässig dahergeschlurft kommen, ein Buch, das den Vibe tief hängender Hosen in sich trägt und entspannt, wie ein Abend mit den „Homies“ daheim.
(Jörg Harlan Rohleder: „Lokalhelden“, Piper, 282 Seiten, 16,95 Euro)