Die einen fasten, die anderen schreiben dicke Bücher. Zwei Autoren protokollieren den Mangel junger Menschen, der in Deflationszeiten über den Ärger verpasster Gucci-Schnäppchen hinausgeht. Journalist Matthias Kalle hat jüngst sein autobiographische Debüt „Verzichten auf“ veröffentlicht, Kollege Florian Illies die „Generation Golf“-Generalbeichte „Generation Golf 2“. Für beide steht in Variation fest: „Nichts ist mehr, wie es einmal war“ (Illies) und „Wie will ich leben? So jedenfalls nicht“ (Kalle). Insbesondere Letzterer findet endlich die angemessene Gegen-Sprache zum Spar-Zwang und Geiz-ist-Geil-Terror. Von den Sommern 2002 bis 2003 hat Kalle die existentiellen Fragen beantwortet, worauf wir verzichtet haben, verzichten sollten, niemals verzichten dürfen. Im Gegensatz zu Benimm- und Geschmacksfeuilletonist Illies bleibt Kalle näher am Leser.
Während der Eine behauptet „der Besuch New Yorks ist für uns fast zu etwas Selbstverständlichem geworden“, hat der ehemalige jetzt-Redakteur Kalle metaphysische Befindlichkeiten analysiert und vager, vorsichtiger gefragt, ob die Krise Herzen kalt macht und Berlin Mitte tatsächlich als Stimmungsindikator (wie bei Illies) herangezogen werden kann. Wir müssen sparen. Nahezu jeder verliert zwischen Solidaritätsaufforderungen, Beitragssteigerungen und Entlassungswellen liebgewonnene Aktien-, Netzwerk- und Optimismus-Ruhekissen. Doch während Illies dies durchweg mit weinerlichen Thesen-Phrasen kommentiert, beschreibt Kalle, wie er der erzwungenen, von außen kommenden Beschränkung eine Selbst-Beschränkung hinzufügt und damit wieder Herr der Lage wird.
Dass diese Lage inzwischen vielmehr ein Fallen geworden ist, wird akzeptiert und das Ironie-Ende zum Selbstironie-Anfang erklärt. Denn Humor ist für Kalle allzu oft Tatsachen-Verleugnung, die persönliche Reflexion, die PR-lose Beschäftigung mit sich selbst wichtiger. Illies hingegen schreibt weiterhin pointiert gebastelte Sätze. Wo Kalle das Prinzip Antiamerikanismus seziert, bleibt Illies bei dem Satz: „Doch auch die größten Pazifisten haben erkennen müssen, dass es sich bei dem Angriff auf das World Trade Center nicht um eine arabische Einladung zum interkulturellen Dialog gehandelt hatte, sondern um ein Attentat.“ Selbst jetzt werden also Weltpolitik, Humoranspruch und Allgemeinplatzwissen fidel kombiniert. Einkehr, Selbstbeschränkung, neue Ideen findet man bei Illies vergeblich.
Kalle verkauft hingegen unnütz erscheinende Möbel, zieht vorübergehend in seine Heimatstadt Minden um, nutzt frei gewordene Zeit für Erinnerungen, Liebesrückblick, die Aufzeichnung gelungener Kapitel über Wut und Angst. Zwei Gefühle, auf die man seiner Meinung nach nicht verzichten sollte. Aber warum überhaupt: verzichten auf? Beide Bücher besitzen viel vom Geiste Werner Tiki Küstenmachers, der mit „Simplify Your Life“ monatelang in den Bestsellerlisten auftauchte und ebenfalls das einfache, glückliche Leben propagierte und dem Überfluss abschwor. Somit sind Illies und Kalle weiterhin Kinder der Zeit, Letzterer auch des Zeitgeistes. Die Protagonisten einer gehypten Bewegung, der Popkultur, bereiten nun ihre Gegenbewegung vor. Sie bedienen sich, und dies kann man Illies wie Kalle unterstellen, den Mechanismen des längst Verfallenen, spielen mit diesen, variieren. Nicht umsonst heißt Illies Buch „Generation Golf 2“ und selbst Kalle fährt argumentativ auf einem Terrain, das ihm der kritikwürdige Kollege geebnet hat. Dafür ist seine Analyse wenigstens lesbar.
Florian Illies: „Generation Golf zwei“, Blessing-Verlag, 260 S. // Matthias Kalle: „Verzichten auf“, KiWi, 222 S., 8,90 Euro // Werner Tiki Küstenmacher: „Simplify your life“, Campus, 356 S., 19,90 Euro
[…] Texte korrekturgelesen, in der Westdeutschen Zeitung, in der WAZ und im Magazin Bücher mal hier, mal da über ein Buch geschrieben, selbst veröffentlicht (die Romane „Staring at the Sun“ und […]