Gibt es Sex ohne Liebe, Liebe und dennoch Sex mit mehreren? Lifestyle-Journalistin Theresa Bäuerlein schreibt einen klugen „Roman ohne Eifersucht“ über ein Paar, das die größtmögliche Freiheit sucht – und etwas Überraschendes findet.
Aktuelle Filme wie „No Strings Attached“ (deutsch: „Freundschaft Plus“) oder „Friends with Benefits“, Bücher wie Charlotte Roches „Schoßgebete“ und Songs wie „One Life Stand“ von Hot Chip kreisen ums gleiche Thema: Liebe und Sex im 21. Jahrhundert, wie kann dieser Bereich aussehen, gestaltet, der Gegenwart angemessen verhandelt werde? Schwankend zwischen absoluter Freiheit auf der einen und Monogamie auf der anderen Seite – der Mann als One Life Stand-Romantiker, der Twilight-Vampir als enthaltsamer Mormone – das treibt uns alle um, zur Zeit. Jonathan und Karen, die beiden Um-die-Dreißigjährigen in Theresa Bäuerleins „Roman ohne Eifersucht“ sind seit drei Jahren ein Paar, als sie ein Experiment wagen: Während eines Urlaubs, den Jonathan allein in Polen verbringen wird, darf er ungehemmt mit anderen Frauen schlafen. „Und was machst du, wenn du eifersüchtig wirst“, fragt er Karen und die antwortet ultramodern: „Damit werde ich fertig.“ Denn für sie sollen die gleichen Regeln gelten: No Springs Attached.
Ein anderer Experimentierender, der Biologie-Promovent Ben von Nebenan, der beruflich Ratten seziert, weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, dass ihm später eine tragende Rolle zukommen wird. Die Geschichte, die in ihrer Konstellation an Doris Dörrie-Filme der Achtziger und Neunziger erinnert, entwickelt sich dem Genre entsprechend, und erzählt doch mit teilweise neuen Mittel, von diesem Liebes-Laborszenario. Karen und Jonathan probieren sich aus und es ist eine große Freude, den beiden sehr freundlich wirkenden Figuren zuzusehen, wie sie die Fühler in neue Richtungen ausstrecken, sich aber gleichzeitig unglaublich vermissen, dabei sich selbst immer unsicherer begegnen. Diese erwachsene Vereinbarung – „keine Eifersucht“ – überfordert. Das überrascht Jonathan, das überrascht Karen sowieso.
Ihr Umfeld reagiert ähnlich: „Die Leute sind allergisch gegen freie Liebe, Schätzchen. Du ahnst nicht, was da für Reaktionen kommen. Im besten Fall herrscht bloß Hippiealarm. Wenn es um freie Liebe geht, ist immer gleich von Jesuslatschen die Rede. Jesuslatschen scheinen das Schlimmste zu sein, das sich die Leute vorstellen können“, wird eine Arbeitskollegin von Karen irgendwann sagen und einladen zum Gruppentreffen des Vereins „Zwangloslieben“. Hier lernt Karen zuerst mannigfaltige Beziehungsmodelle kennen und später, bei der großen „Zwangloslieben“-Demo auf offener Strasse, dass Polygamie und Partnertausch weiterhin geächtet werden. Bereits da ahnt man, dass sogar hinter der so genannten „Homo-Ehe“ mehr als Weltoffenheit stehen könnte; nämlich genauso der gesellschaftliche Wunsch, das Geschlechtsleben anderer Leute möge Bitteschön in geregelten Bahnen verlaufen. Schwul ist ok. Aber nicht: zu fünft oder so. Partnertausch als Tabu, so stand es überall, vor wenigen Tagen erst, in den Berichten über „Schoßgebete“.
Das macht diesen „Roman ohne Eifersucht“ besonders. Obwohl er mit extremer Leichtigkeit daherkommt (gesellschaftliche Phänomene werden an einer Stelle mit Sesamstraßen-Filmchen analysiert), rüttelt er doch an Grundfesten, hinterfragt, ist abgewogen im Ton, den Beziehungs-Spießer (auch den in uns) verstehend, auf die gleiche Weise den Hippie, die „Free Love“-Aktivistin, kurz: jeden frei denkenden Menschen, jede freie Idee. Nur eines geht nicht, es wäre auch der Gegensatz von Freiheit: Sexismus, also die aufgezwungene „freie Liebe“.
„Typen wie du kotzen mich an“, wird Karen einem Grabscher deshalb ins Gesicht schreien. Mit dieser kurzen Szene greift Theresa Bäuerlein, ohne es direkt zu benennen, die 2011 initiierten „Slutwalks“ (Schlampenmärsche) auf, in der Teilnehmer jedes möglichen Geschlechts auf die Straße gehen, teilweise nackt, um gegen den alten Vorwurf zu protestieren, dass jeder, der sich knapp kleidet oder sexuell offen lebt, Freiwild für Notgeile ist. Slogans wie „I’m a Slut – Not for You!“ (Ich bin eine Schlampe – nicht für Dich) oder „This is not my I want you-Face“ (Das ist nicht mein Ich will Dich-Gesicht) fordern Tresen-Sexisten selbstverständlich und zu Recht heraus. Ausgerechnet Theresa Bäuerleins harmlos klingendes Buch liefert seinen klugen Beitrag zur immer neuen Debatte. Wer hätte das gedacht?
Theresa Bäuerlein: „Roman ohne Eifersucht“, Krüger, 274 Seiten, 14,95 Euro