„Ich wollte noch ein Holocaust-Buch schreiben, aber nicht über Juden“, sagte Edgar Hilsenrath Donnerstagabend während seiner Wuppertaler Lesung. Auf Einladung der hier ansässigen Armin T. Wegner-Gesellschaft las der 1926 in Leipzig geborene Schriftsteller aus seinem Roman „Das Märchen vom letzten Gedanken“ (Dittrich-Verlag, 645 S, 24,80 Euro). Für dieses Werk über die türkischen Vertreibungen und Morde an den Armeniern, erhielt Hilsenrath 1989 den Alfred-Döblin-Preis. Warum ist dieses Thema momentan aktuell? Zum einen wird am 24. April des 90. Jahrestages dieses ersten durchorganisierten Genozids im vergangenen Jahrhundert gedacht.
Zum anderen wächst diplomatischer Druck auf den türkischen Staat, diesen eigens motivierten und durchgeführten Genozid endlich anzuerkennen, nicht aus den Geschichtsbüchern zu löschen. Denn genau das funktionierte jahrelang bestens. „Wer erinnert sich noch an die Armenier?“ soll Hitler vor Planung seines Holocausts gesagt haben. Wer erinnert sich noch? Nun sitzt Hilsenrath, sichtlich geschwächt, mit Herausgeber Helmut Braun im Abakus-Buchladen. Beide lesen abwechselnd diesen großen, sperrig-breiten, zu Beginn bereits erschreckenden Prolog über letzte Gedanken und letzte Gänge. Es sind Gänge vertriebener, von türkischen Gendarmen getriebener Armenier. Kinder werden im Straßengraben geboren, liegen-, alleingelassen.
Und hier wird Hilsenrath ganz stark, hellwach, den Text immer wieder während seiner Lesung kürzend, Silben verschluckend, engagiert seine Kunst vertretend, die Zuschauer abholend. Durch sein orientalisches Märchen, durch seinen Einsatz erhebt sich der Text, spricht einen deutlich an, er spricht über den unaussprechlichen Schrecken. Wenige Armenier haben bisher von diesen Schrecken berichtet. Man hat ihn vergessen, sehr früh, und hätte ihn doch niemals vergessen dürfen. Dieses Buch ist ein Monument gegen die Verdrängung, das Schweigen, die fehlende Anerkennung.