Freitagabend startete das Kölner Literaturfestival lit.COLOGNE. Im Museum Ludwig redeten Maler Daniel Richter und Suhrkamp-Autor Dietmar Dath über „Exakte Blödheit“, Präzision, Passion und Physik. Wasser gab es nur auf dem Podium, in kleinen 0,5-Liter-Flaschen. Das Publikum dürstete. (Das Beitragsbild ist von Wikipedia und zeigt Paul Dirac.)
Einige verschwanden während der 90-minütigen Veranstaltung, gingen die Treppen hinab, am „Drunk With God“-Gemälde der britischen Popkünstler Gilbert & George vorbei und benetzten ihre heißen Lippen im Antifixerblau ausgeleuchteten Erdgeschoss-Abort. Wer sitzenblieb und dehydriert im Delirium, anschließend nach draußen in die frühlingskühle Dunkelheit trat, der vermutete vielleicht, seine Kopfschmerzen kämen von den vielen, sehr, sehr komplizierten Sätzen kurz zuvor. Aber vielleicht war es nur der Durst. „Was heißt es, modern zu sein?“ fragte Dietmar Dath an diesem Abend und fragt es auch in „Dirac“, seinem aktuellen Roman über den gleichnamigen, 1984 verstorbenen Quantenphysiker Paul Dirac aus Bristol (England). Der Schriftsteller David Dalek, das spärlich codierte Alter Ego Daths, arbeitet an einem Roman über Dirac und befindet sich gleichzeitig in einer Sinnkrise zwischen Punk-Ruinen und Post-Post-Moderne.
„Wie beschreibt man heute aktuelles Leben?“ heißt eine, heißt seine (selbstgestellte) Aufgabe. Natürlich nicht wie Mark Twain. Denn die Idee ist durch. Sagt Dath während der Museum-Ludwig-Veranstaltung. „Zuerst habe ich einen richtigen Historienschinken über Dirac geschrieben. Aber das Ding war tot.“ Nun ist es eine Geschichte über die Entstehung einer Geschichte geworden, mit vielen doppelten Böden, die knacken und knarzen und trotzdem ganz gut zu begehen sind. Wer zwischendurch abschalten wollte, der schaute vielleicht zur rechten Seite. Da stand „Elf Scheiben“, eine sehr frische Arbeit des Starkünstlers Gerhard Richter: Elf hinter-einander gestaffelte Glas-Rechtecke nur durch vier Kanthölzer fixiert, spiegeln und verwirren den Betrachter. Die eigenen Konturen scheinen zittrig übereinander gelegt. Man sieht sich selbst wie in einem klassischen Gerhard-Richter-Bild als abgemalte, unscharfe Fotografie.
Daniel Richter spricht währenddessen auf der Bühne zu Moderator Andreas Fanizadeh vom ID-Verlag: „Blödheit durch Zuviel. Ich frage mich, ab wann ein Bild überfrachtet ist, wann ist das Plansoll übererfüllt? Man kriegt so ein Bild aber nicht tot, man kriegt nur den Betrachter tot.“ In der Ecke schreit ein Baby. Ganz kurz. Der Durst kommt zurück… Kaskaden brechen über das Publikum herein, leider nicht aus Wasser, sondern aus Wörtern. Dath liest sehr schnell und absichtlich hysterisch zwei Romanpassagen, bis die Sätze ebenfalls verschwimmen, wie das Spiegelbild im Gerhard-Richter-Werk. Und irgendwann sind keine doppelten, nicht einmal einfache Böden sichtbar. Man fällt eher ins Bodenlose.
Begriffe wie „Selbstgeißelungszwang“, „dialektische Wendung des Assistenten“ und „gesellschaftlicher Betrachter“ pumpen durchs Hirn. Man erinnert sich, dass Daniel Richter ein Buch veröffentlicht hat, das „Hirn“ heißt, ebenso wie Rainald Goetz, der wiederum in „Dirac“ eine Rolle spielt. Alles hat hier mit allem zu tun. „Etwas weniger ist mehr“, ruft ein Besucher rein. „Nein!“, möchte man widersprechen, „das stimmt nicht.“ Dieser Abend funktioniert nur als Debatten-Overkill. Das Hirn muss brennen. Vielleicht gibt es deshalb keine Erfrischungen: Damit sich das Publikum wenigstens körperlich reinfühlen kann, in Hirn und Hemisphäre der Helden auf dem Podium. „Und wer das verstehen will, versteht es.“ Dietmar Dath hat recht.