Mit dem Roman „Schwarzer Flieder“ schließt Reinhard Kaiser-Mühlecker seine Goldberger-Saga ab: Es ist ein blutiges, schon fast ans Alte Testament erinnerndes Finale.
After-Hour in Wien: „Mächtig strahlend, doch ohne dabei zu blenden, hob sich die Sonne hinter dem östlichen Stadtrand empor. Eben war noch alles in kühlem, tauigem, grauem Licht gelegen, jetzt waren die Dinge hell, fast weiß, sogar die Blätter der Bäume und Sträucher vor ihnen. Die Sonne trat höher und höher, und mit jeder Sekunde breitete sich das weiße Feuer weiter über der Stadt aus, bis schließlich über keinem Gebäude mehr etwas anderes stand als das Junilicht. Niemand verlor ein Wort. Es war, als hätten sie geschlafen und von Feiern und Clubs nur geträumt.“
Eine Szene, die wirkt, wie „Jubel“ von Klingande klingt. Ferdinand Goldberger hat sich in Wien eingelebt. Tagsüber arbeitet der Bauerssohn als Referent im Landwirtschaftsministerium. Nachts geht er feiern. Danach: ausnüchtern. Ein ereignisarmes Leben ist das. „In den ersten drei Jahren, als er noch Student der Universität für Bodenkultur war, hatte er die dreimonatigen Sommerferien und auch die Weihnachtsferien noch auf dem Hof seiner Familie im oberösterreichischen Rosental verbracht.“ Die After-Hour im aufgehenden Sonnenlicht trügt in ihrere Beschaulichkeit. Schreckliches wartet in Ferdinands Zukunft.
Sein Alltag aus Presseterminen, dem Texten eher öder Artikel für Minsteriumsmagazine, den Konferenzen, Besprechungen gerät auseinander, als Susanne in sein Leben tritt, genauer: wieder auftaucht. Susanne ist die nie abgelegte Liebe seines Lebens. Sie hat Ferdinand vor Jahren verlassen, zog nach Wien. Er blieb damals in Rosental zurück. Ferdinand kennt von jetzt an nur ein Ziel: Susanne für sich gewinnen, Susanne überzeugen, wieder an ihn binden, sie zu einer Hochzeit überreden. Dass er sich deshalb nicht für Harmonie entscheidet, ist Ferdinand bewusst: „Es war der entblößte Unterarm, der ihn erstarren ließ. Auf der gesamten Länge – von der Handwurzel bis zur Armbeuge – war er von unzähligen feinen, sich teilweise kreuzen- den Narben und noch frischen Wunden übersät.“
Susanne trägt große Probleme mit sich herum. Sie muss irgendwann abgerutscht sein. Ansonsten würde sie sich nicht ständig selbst verletzen. Wird sojemand von einer Beziehung gerettet werden können? Ferdinand kämpft. Doch eben dieser Kampf wird ihn später weit von Wien wegtreiben, nach Bolivien, wo einst sein Großvater gelebt und ein fürchterliches Geheimnis zurückgelassen hat. In der Wildnis, dem städtuschen Wien entgegengesetzt, wird Ferdinand eine Abenteurreise in die Vergangenheit unternehmen, sich um unterernährte Kinder kümmern, sich mit Mafiosi und Entwicklungshelfern herumschlagen müssen – und als schwer geschlagener, anderer Mensch nach Österreich heimkommen.
Mit „Schwarzer Flieder“, der an den 2012 veröffentlichten Roman „Roter Flieder“ anschließt, beendet Reinhard Kaiser-Mühlecker seine Goldberger-Saga mit einer wendungsreichen, mehrteiligen Geschichte. Alles ist drinn: Eine Vendetta, Depressionen, der heutzutage alles antreibende Karrieretrieb, die Großstadt, das Land, der verbotene, heimliche, der amoralische und der zärtliche Sex, die gesellschaftliche Moral und ihr privater Gegenentwurf. Großes Ende einer großen Story.
Reinhard Kaiser Mühlecker: „Schwarzer Flieder“, Hoffmann & Campe, 240 Seiten, 19,99 Euro
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