Eine (Zauber-)Bergfabel, die wie von Kinder gemalt angeschaut werden kann, Rätselhaftes über die fremde Spezies Mensch, eine bärige Suche nach der eigenen Heimat und ein amerikanisches Haus der Geschichte stecken in den Bilderbüchern des Monats September.
In diesem Buch schauen Außerirdische auf die fremde Spezies Mensch: „Ein Rat aus Vertretern der intelligentesten Lebensformen im All sammelt seit 5 Milliarden Jahren Informationen über sämtliche Spuren von Intelligenz im Universum. Die Erdlinge, Bewohner des Planeten Erde, sind erstmals Gegenstand der Untersuchungen. Der Bericht wurde innerhalb von exakt 7 Erdensekunden erstellt.“ Nach einer genauen Kartographierung und zahlreichen Irrtümern vergangener Erdenastronomen (Thales von Milet stellt sich die Erde als flache Scheibe vor, die im Ozean schwimmt) werden unsere natürlichen und unsere menschengemachten Lebensverhältnisse vorgestellt, ebenso unser Vorkommen im Verhältnis zu anderen Bewohnern gesetzt: So bringen alle Erdlinge zusammen lediglich 1/20 des Gewichts aller Pilze auf die Waage – und nur 1/3 des Gewichts aller Viren.
Dieses Buch ist ein gut recherchiertes Kompendium humanen Reichtums. Die unauffälligen, blau-gelb-rot kolorierten Illustrationen wirken leicht auch aus der Zeit gefallen, man hätte sie eher in den britischen oder französischen 50er oder 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vermutet, auch erscheint der nur verschämte Blick auf Sexualität, auf das Begehren allzu protestantisch. Man hätte mehr mit der kreativen Grundidee des Außerirdischenblicks spielen können. So fehlt ein kritischer Zugriff über die Art, wie Erdlinge ihren Fleischkonsum ermöglichen oder auch: welchen Schaden der religiöse Glaube bis heute anrichtet (und wie er dennoch transzendentale Bedürfnisse befriedigt). Ebenso fehlt ein kleines Nachwort, das einige Probleme der Datenerhebung aufgreift. Gute Idee, lediglich solide umgesetzt, illustrativ jedoch hinreichend interessant. Ewa Solarz (Text), Robert Czajka (Illustration): „Alles über Erdlinge“, aus dem Polnischen von Thomas Weiler, Gerstenberg, 84 Seiten, 24 Euro, ab 8 Jahre
Geschichten über das Heimkommen gibt es seit den Anfängen aller Literatur („Die Odyssee“, „Erec“, „Hänsel und Gretel“) – und werden noch heute zu Bestsellern („Das Kind in Dir muss Heimat finden“). Mit Letzterem hat „Geht’s hier zum Nordpol?“ der spanischen Graphikerin Mariajo Ilustrajo (der Nachname ist offensichtlich ein Pseudonym) überraschend viel zu tun. Das Buch erzählt von einem verirrten Eisbären, der in einer fremden Stadt gelandet ist, nun sein Zuhause sucht, doch inmitten des Gewimmels nur hochbeschäftigte, ihn ignorierende Menschen antrifft. Erst ein Kind widmet sich des orientierungslosen Fremden, nimmt ihn erst zu sich ins Kinderzimmer, hilft ihm dann beim Überflug ins Eis. Etwas sehr Altes klingt in dieser Geschichte an, aber auch die kindliche Erfahrung des Verlorengehens (im Kaufhaus, im Wald usw.). Absichtlich schlampig erscheinen die Bilder, das Gehetzte ihres Fell-Protagonisten auf der Bildebene wiedergebend, mit sparsamen Anklängen an Comics, mit Kästchen, Panoramen, einer dynamischen Sichtführung, die Gefühle des Eisbären immer wieder nachfühlbar gestaltend. Ein Buch für alle, die zwischenzeitlich verlorengehen und dann stets aufs Neue die Umarmungen ihrer Gruppe ersehnen. Mariajo Ilustrajo: „Geht’s hier zum Nordpol?“, aus dem Englischen von Anu Stohner, Beltz & Gelberg, 36 Seiten, 16 Euro, ab 4 Jahre
Monika Zeiners „Villa Sternbald“-Roman stellt in diesem Monat ein fiktives Haus in den Mittelpunkt ihres Buchs – Thomas Harding hingegen erzählt in „Das Haus auf der Farm“ von einem real existierenden Gebäude, das in den USA besucht werden kann: das „Harriet Tubman Home“. Es ist bereits die dritte Veröffentlichung einer Reihe, die historisch bedeutsame Häuser vorstellt, nach „Sommerhaus am See“ über das Alexander Haus am Groß Glienicker See und „Das alte Haus an der Gracht“, in dem sich Anne Frank und ihre Familie einst versteckt hielten. Das „Harriet Tubman Home“, in der nordöstlichen Ecke der USA, nahe der Stadt Auburn gelegen, diente in seiner bewegten Geschichte als Farmhaus und Altenheim, als Zufluchtsort für ehemals versklavte Menschen. Es war Stationspunkt der legendären „Underground Railroad“: Gegner der Sklaverei (weiße wie schwarze) hatten ab 1780 dieses geheime Fluchthilfenetzwerk etabliert und so über 100.000 Menschen den Weg in den Norden der USA und nach Kanada ermöglicht. Das im Bilderbuch vorgestellte Haus war Schutzraum auch für die Namengeberein Harriet Tubman, eine in den USA berühmt gewordene Krankenschwester, die 1849 erfolgreich aus der Sklaverei geflohen war. Thomas Harding und Britta Teckentrup erzählen die Geschichte von den Ureinwohnern über jene frühen Farmer bis in die Gegenwart; über die Zeit des Amerikanischen Bürgerkrieges, dann des Ersten und Zweiten Weltkriegs, mit schärfetiefen, rostfarbenen Illustrationen, die wie Dioramen wirken. Die doppelseitigen Bilder werden so zu Museumsexponate, die Kindern ein plastisches Geschichtsgefühl vermitteln, weder wertend noch rührselig. Eine Feier der Zivilcourage. Thomas Harding (Text), Britta Teckentrup (Illustration): „Das alte Haus auf der Farm“, aus dem Englischen von Nicola T. Stuart, Jacoby & Stuart, 56 Seiten, 22 Euro, ab 8 Jahre
Die südkoreanische, doch schon lang in Berlin und Leipzig lebende Künstlerin Dayeon Auh hat ein Kinderbilderbuch gestaltet, das wirkt, als sei es selbst von einem Kind ersonnen und illustriert worden. In gleichsam naiven Worten erzählt sie aus der tiefen Vergangenheit, sie berichtet von einem Großvater, Der lebte einst in einem kleinen Dorf: „Er hatte ein paar Tiere und wohnte in einem hübschen Häuschen. Wenn er zum Markt wollte, musste er einen Berg überqueren.“ Wir haben weiterhin 100-jähriges Zauberberg-Jubiläum (gerade erschien eine schneeweiße Schmuckausgabe bei S. Fischer) und auch dem hier vorgestellten Berg werden magische Kräfte zugeschrieben: „Wer diesen Berg besteigt und dabei hinfällt, der hat nur noch drei Jahre zu leben.“ Es muss irgendwann so kommen. Der Großvater stürzt bei der Überquerung dieses Berges, fühlt sich nach drei Jahren tatsächlich sterbenskrank und findet erst in letzter Sekunde ein Gegenmittel gegen die drohende Totalauslöschung – und zwar derart heiter, dass dieses auf der Inhaltsebene zunächst so düster klingende Bilderbuchbuch tatsächlich geeignet ist für kleine Kinder, die sich möglicherweise motiviert sehen, eigene Storys auszudenken, Bilder zu zeichnen, in denen eventuell ebenfalls ein magischer Berg im Mittelpunkt des Geschehens steht. Dayeon Auh: „Ein Berg, ein Sturz, ein langes Leben“, NordSüd, 40 Seiten, 18 Euro, ab 4 Jahre