Eine unwahrscheinliche Freundschaft im umkämpften Teheran Anfang der 1980er Jahre, die Schöpfungsgeschichte für Kinder anders erzählt, ein toter Vogel und ein Eichhörnchen, da glaubt, sein Schatz wäre verloren – sie alle tauchen auf in den schönsten Bilderbüchern dieses Septembers.
Ende November 1980 wird Francesco Mezzalama Botschafter Italiens in der iranischen Hauptstadt Teheran. Zwei Monate zuvor hat der Irak sein Nachbarland überfallen – jene Instabilität nutzend, die seit der „Islamischen Revolution“ Anfang 1979 entstanden war. Mazzalamas Tochter Chiara erzählt mit „Drinnen-Draußen“ dreieinhalb Jahrzehnte später (das Buch erschien im Original 2017) die eigene Geschichte einer Freundschaft zwischen ihr, der „Gefangenen im Botschaftsgarten“ (Drinnen) und Massoud, einem iranischen Jungen (Draußen). Der Garten, erinnert sie, war so groß, „dass er kein Ende zu haben schien. Ein verwilderter Garten, in dem Prinzen und Prinzessinnen gelebt hatten. Echte Prinzen und Prinzessinnen, nicht die aus erfundenen Geschichten.“ Außerhalb dieses Gartens leidet die Stadt unter einem barbarischen Krieg: „Den Gesang der Vögel konnte niemand mehr hören, auch nicht das Plätschern der Springbrunnen. Selbst der Wind in den Blättern der riesigen Bäume war verstummt. Alle Geräusche wurden verschluckt von Schüssen, Explosionen und Schreien.“
Die beiden Welten, eine dargestellt im sattem Grün, die andere in bedrohlichem Rot, berühren einander, als ein Junge am Tor des Gartens steht. Chiara freundet sich für kurze Zeit mit ihm an – und die zuvor farblich getrennten Welten überlagern sich, das Rot wird Teil des Paradiesgartens, bis das Mädchen erkennt, „dass man Drinnen und Draußen nicht zu sehr vermischen darf. Die Mauer hatte eine gute und eine schlechte Seite. Aber wer entschied, auf welcher Seite der Mauer jemand stand?“ Ein melancholisches Bilderbuch über die kindliche Sehnsucht nach Begegnung, Frieden und Freundschaft in einer lebensfeindlichen Welt, illustrativ an minimalistische Jugendstilbilder erinnernd (bspw. des russischen Malers und Kinderbuchillustrators Iwan Jakowlewitsch Bilibin). Trotz des märchenhaften Tons auf dem Boden schlimmer Tatsachen stehend. Chiara Mezzalama (Text) und Régis Lejonc (Illustration): „Drinnen-Draußen. Ein Garten in Teheran“, aus dem Französischen von Nicola T Stuart, Jacoby & Stuart, 40 Seiten, 22 Euro, ab 9 Jahre
Dieses Bilderbuch funktioniert durchaus ohne Worte. Schön muss es sein, zuhörende Kinder nach der eigentlichen Geschichte zu fragen, die auf poetische Weise von Hoffnung und Leben, vom Neuwerden und Vergehen erzählt – grafisch aufgeräumt, inhaltlich überbordend verspielt. Die Autorin: Coralie Bickford-Smith. Sie gilt als die „Queen schön gestalteter Bücher“ (man könnte auch sagen: als die us-amerikanische Judith Schalansky). Sie hat unter anderem das neue Antlitz der berühmten „Penguin Classics“-Reihe gestaltet – und nun die von ihr ersonnene Geschichte eines Eichhörnchens, das im Herbst eine Eichel findet. Die Frucht erscheint als bedrohter Schatz: „Ich muss meine Eichel verstecken, weit weg von gierigen Augen und hungrigen Mäulern.“ Doch nach einem langen Winter ist die zuvor so sorgsam vergrabene Eichel verschwunden und es muss ein weiteres Jahr vergehen, bis das Tier versteht: „Wenn sich alles immer wieder verwandelt … kann sich dann auch eine Eichel verwandeln?“ Ein Buch, das den Begriff Hoffnung zurück in die (kindliche) Anschaulichkeit holt – ein Buch, in dem mehr als diese eine, mit Worten erzählte Geschichte gefunden werden kann Coralie Bickford-Smith: „Das Eichhörnchen und der verlorene Schatz“, aus dem Englischen von Stefanie Jacobs, Insel, 64 Seiten, 24 Euro
Ein Brausen geht durch dieses Bilderbuch, das Kindern wie Erwachsenen die biblische Schöpfungsgeschichte anschaulich macht. Linda Wolfsgruber, 1961 in Südtirol geboren, erhielt bereits zahlreiche Preise, darunter den Christine-Nöstlinger-Preis, auch den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis. Bücher wie „Arche“ oder „Wie war das am Anfang (als Gott an mich gedacht hat)“ nähern sich in je eigener Bildsprache christlichen Themen. Für „Sieben“ hat sie Monotypien und Tafeln in einer Ölkreiden-Kratztechnik kombiniert. Entlang der „Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift“ werden die ersten Tage unseres Entstehens dargestellt (gut, die Bibel ist sich auch nicht ganz sicher, wie die Welt entstanden ist, weshalb es nach der Schöpfungsgeschichte bekanntlich die sehr anschauliche Paradieserzählung gibt). Wolfgrubers Illustrationen geben dem Numinosen wie den nüchternen Naturwissenschaften Raum, zeigen den Menschen im Schattenriss, als von der Natur erfülltes Wesen. „Dann sprach Gott: Das Land bringe alle Arten von lebendigen Wesen hervor. Wildtiere. Vieh und Kriechtiere. Und so geschah es“, wird bebildert mit Tieren, die an prähistorische Wandmalereien erinnern. Die Unterscheidung von Land und Meer zeigt einen Vulkanausbruch, Gott auf diese Weise eben nicht als notwendig alleinige Ursache vorstellend. Ein Kunstwerk, weit entfernt von Kinderbibelfibeln früherer Tage. Linda Wolfsgruber: „Sieben. Die Schöpfung“, Tyrolia, 120 Seiten, 26 Euro.
Es ist nicht leicht, Kindern Sterben und Tod zu vermitteln, sind sie doch – im glücklichsten Fall – unvorstellbar weit vom eigenen Lebensende entfernt. Im Mittelalter waren Geburt und Tod aufeinander bezogen. In Abbildungen tanzte der Tod bereits an der Wiege. Kindersterblichkeit wurde zudem über lange Zeit als schmerzhafte Selbstverständlichkeit angesehen. Wenig ist bekannt über die Trauer der Eltern. Die berühmt gewordenen „Kindertodtenlieder“ schrieb Friedrich Rückert erst 1833/34. Eine kindgerechte Annäherung ans Sterben wagten 1978 die britische Illustratorin Susan Varley mit „Leb wohl, lieber Dachs“ („Badger’s Parting Gifts“) und 2007 Wolf Erlbruch mit „Ente, Tod und Tulpe“. Aus den Niederlande kommt nun das lapidar-melancholisch erzählte „Vogel ist tot“ von Tiny Fisscher und Herma Starreveld. Wie Patchworkdecken schauen jene Viecher aus, die eines trüben Wintertags den umkippten Freund entdecken: „’Der schläft nicht! Auf dem Rücken + Füße in die Luft = tot.’ – ‚Wirklich?’“ Die Tiere nähern sich langsam dem nicht wirklich erscheinenden Ereignis an und geraten so in eine kollektive Trauer. Sie weinen, klagen, streiten über die nun angemessenen Schritte und finden dann doch zu radikaler Akzeptanz: „’Ich fand ihn bescheuert.’ – ‚Nun ja, er dich auch.’“ Ein Begräbnisritual muss ersonnen werden, mit Grube, Rede, Trauerlied: „Wieso singst du tralala? Wir sind doch traurig, schon vergessen?“ Die Ratlosigkeit über die richtige Reaktion spiegelt auch die Verwirrung der kleinen Leserinnen und Leser, nimmt ihre Gedanken ernst, wertet nicht tröstlich endend mit der Aussicht, Vogel sei zwar weg, aber „er ist immer noch in unserem Herzen. Für immer und ewig.“ Tiny Fisscher (Text), Herma Starreveld (Illustration): „Vogel ist tot“, aus dem Niederländischen von Nicola T. Stuart, Jacoby & Stuart, 32 Seiten, 16 Euro, ab 4 Jahre