John Cage war auch als bildender Künstler für eine Überraschung gut – das zeigt ein „Matsch-Backbuch“ von 1983, das gerade bei Kunstmann erschienen ist. Der beliebte Comickünstler und Graphic-Novel-Humorist Mahler erzählt von Akira Kurosawa und einem meditierenden Frosch. Das Monsta bekommt neue Verwandtschaft und ein Kind verschmilzt mit Mutter Erde in den schönsten Bilderbüchern des gerade zuende gehenden Monats März.
Kinder sind üblicherweise enger mit der Natur verbunden, als wir, die gesellschaftlich leidlich eingegliederten, durch Erziehungsanstalten entfremdeten Erwachsenen. Ein naturverbundenes Kind mit Haaren, die an Baumkronen erinnern, stellt ein Bilderbuch vor, das mit der vertraulichen Anrede „Mein liebes Kind, dein junges Leben grad’ beginnt“ eröffnet. Das liebe, von einem Terrier begleitete Kind fügt sich offenkundig in die wilde Landschaft ein, es ist selbstverständlicher Teil der Natur. Einmal erinnert sein Fingertippen ins Wasser an Michelangelos berühmtes Deckenfresko „Die Erschaffung Adams“ aus der Sixtinischen Kapelle. Aufgrund perspektivischer Verzerrungen kann geschehen, dass ein Specht größer wirkt als die offensichtlich staunende Hauptfigur, die ins Dickicht der Pflanzen taucht und wie mit einem Singsang begleitet wird: „Betrachte Blumen. Sieh, wie Bienen durchs Bestäuben, Bäumen dienen.“
Die unmittelbar vor der Haustür sprießende Pflanzen- und Tierwelt wirkt wie ein Strom, in den dieses Kind eintaucht, als Einladung für die Leserinnen und Leser, auf ähnliche Weise seine Umwelt zu erfahren – und Zeilen wie „Streif durch Wüsten und durch Sand. Steig auf Berge, pfleg das Land“ weisen bereits auf die Magie von Wolfgang Borcherts „Versuche es“-Gedicht, sodass man am Ende dieses schönen Bandes auch die Verse des großen Hamburger Schriftstellers in den Ohren hört: „Stell dich mitten in den Wind, glaub an ihn und sei ein Kind – laß den Sturm in dich hinein und versuche gut zu sein.“ Nina Laden (Text), Melissa Castrillon (Illustration): „Ein Ort voller Wunder“, aus dem Englischen von Ebi Naumann, Magellan, 40 Seiten, 15 Euro, ab 4 Jahre
Aus dem Jahr 1983 kommt dieses quadratische Spielbuch des bedeutenden Komponisten John Cage (1912-1992). Der Zufall, überbordende Lust und eine besondere Art der Autonomie kennzeichnen seine Musik – das bekannteste Stück ist gewiss das allein aus Stille komponierte 4′33″. Mit der Designerin Lois Long (1918-2005) hat sich Cage einst an einen Küchentisch gesetzt und mit echtem Zeitungspapier, Matsch und Pusteblumen ausprobiert, welche Kuchen aus Sand, Kieseln und Wasser gebacken werden können: „Falls der Sand sich nicht sieben lässt, tritt drauf oder zerstampf ihn mit einem Stein, hör auf zu sieben, wenn Du vier Tassen zusammenhast. (…) Tipp für eine Geburtstagstorte Pustenblumen sind sehr hübsch als Kerzen.“ Gleichzeitig ironisch und ernst nehmen John Cage und Louis Long das Spiel, hier kehren wir in eine freie Kindheit zurück. Am Ende möchte man selbst die Hände in den feuchten Sand kneten – und Pusteblumen in den Himmel blasen. John Cage, Lois Long: „Matsch! Das Backbuch”, aus dem Englischen von Ruth Keen, Antje Kunstmann, 40 Seiten, 16 Euro, ab 3 Jahre
Ein kleiner Verwandter, des „Monsta“-Buchs von Dita Zipfel Und Mateo Dineen kommt nun aus Brasilien. „Bis Du ein Monster?“ fragt das puschelige, tannengrüne Ungeheuer und möchte gern mit dem zuhörenden Kind befreundet sein. Das Monster sucht nach Gemeinsamkeiten und hofft, sein Gegenüber habe wie es selbst große gelbe Augen oder Zacken auf dem Rücken. Wie das „Monsta“ bei Zipfel/Dineen, so ist auch dieses kleine Viech irgendwann beleidigt und wendet sich enttäuscht ab, weil es im Kind kein passendes Gegenüber erkennen kann, bis: „MOMENT! Zeig mir noch mal deine Zähne. Ein RiESiGER Mund VOLL RIESIGER Zähne! Sehr iNTERESSANT!“ Dieses Bilderbuch ist nicht nur putzig gezeichnet, sondern auch eine Einübung in das Andere als das Andere (um es mit Martin Buber auszudrücken). Ein Buch, das zum Mitmachen einlädt, die Vorlesenden wie die Zuhörenden, sodass alle selbst zu Monstern werden und sich so über die Geschichte verbrüdern – bis alle Lebewesen Geschwister werden, tannengrüne Monster sind explizit mitgemeint. Guilherme Karsten: “Bist du ein Monster?“, aus dem Englischen übersetzt von Uwe-Michael Gutzschahn, Aladin, 44 Seiten, 15 Euro, ab 4 Jahre
Wer einmal das fantastische Literaturmuseum in Wien besucht hat (es ist tatsächlich außergewöhnlich), der erinnert sich möglicherweise an Mahlers Comicstrip mit einem zweifelnd-grantelnden Franz Grillparzer. Der neue, ironisch als „autofiktional“ bezeichnete Sammelband eröffnet mit dem österreichischen Nationaldichter, der die Gestimmtheit auch der folgenden Seiten anreißt. Zweifelnd sitzt er am Puls, ein leeres Blatt Papier und das Tintenfass vor sich: „Auch fürs Lustspiel habe ich wenig Anlage. Gott weiß, wo das Ganze hinführt … Mir liegt im Grunde an der Produktion nichts mehr. Ich habe nur ein Bedürfnis, mich in Ideen zu berauschen. Ich möchte eine Tragödie in GEDANKEN schreiben können.“ Die Tragödie, das ist bei Mahler stets das gewöhnliche Leben. Mahler, der bereits Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ und Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ (beide bei Suhrkamp erschienen) eine mürbe Komik abtrotzen konnte, berichtet nun über kuriose und fadiserende (langweilige) Begegnungen auf Festivals, Buchmessen und Comic-Lesungen. Wir reisen zum Manga Museum in Kyoto, treffen ein Paar, das an der U-Bahn-Haltestelle SM-Praktiken diskutiert und nicken möglicherweise bei Beobachtungen wie dieser: „Die Comics sind nicht erwachsen geworden, der Kulturbetrieb vertrottelt nur zunehmend.“ Mahler: „Akira Kurosawa und der meditierende Frosch“, reprodukt, 128 Seiten, 16 Euro