Der Frühling naht, die Bäume werden grün – irgendwo versteckt sich ein kleines Echo, die Bücherwaschmaschine wird angeschmissen, im Paradies entdecken Adam und Eva die Liebe und die Welt ist bevölkert von Eric Carles Getier.
Im Uterus reagieren Säuglinge auf Geräusche und Töne – Anfang eines mehrjährigen Wegs zum vollständigen phonetischen Bewusstsein. Geschichten, die von Geräuschen erzählen faszinieren kleine Kinder auch deshalb; weil es für sie in der Welt des Akustischen so viel zu entdecken gibt. Wenn diese Geschichten wie im Debüt des britischen Künstlers Al Rodin zudem mit antiken Mythen verbunden werden, haben auch die Erwachsenen etwas von der Lektüre. Wie die Ovid’sche Nymphe Echo ist das hier vorgestellte puschelige Echo-Wesen selbstunsicher, schüchtern, es kann nur wiedergeben, was ihm zugerufen wird. Ebenfalls wie die Ur-Echo irrt es umher. Ebenfalls stellt sie irgendwann einem anderen nach – allerdings keinem Narziss, sondern viel profaner einem Junge namens Max.
„Max hatte eine Schatzkarte. Echo hätte Max gern dabei geholfen, sie richtig herum zu halten. Doch sie konnte nur echoen. Und so verirrte sich Max.“ Ab hier bricht die Geschichte mit der mythologischen Erzählung und gibt Echo selbstermächtigend eine eigene Stimme: „Wenn Echo redete, hörte Max zu. Wenn Echo zuhörte, redete Max.“ Und so werden sie füreinander zu dem Schatz, den Max eigentlich finden wollten; die rührende Pointe eines Bilderbuchs über Freundschaft, Schüchternheit und die Schönheit des Tons. (Al Rodin: „Das kleine Echo“, aus dem Englischen übersetzt von Thomas Bodner, NordSüd Verlag, Zürich, 40 Seiten, 15 Euro, ab 4 Jahre)
Beim ersten Satz dieses Bilderbuchs – „Die Broncas waren eine ganz normale Familie“ – muss man unweigerlich an Leo Tolstois Satz aus „Anna Karenina“ denken: „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Die hier von Carla Maia de Almeida vorgestellten Broncas „liebten es, an den Strand zu gehen, Fußball zu schauen und Eis zu essen. Außerdem feierten sie gern, gingen zusammen ins Café und machten Spazierfahrten mit dem Auto.“ Und neben kurioseren Gemeinsamkeiten wie ihrer Angewohnheit, viel zur reden oder Wörter zu erfinden („Tscharapitonga! Katakumbo! Zaraguntscho“), lieben alle: Bücher. Doch wie Cervantes’ „Don Quijote“ verlieren sich auch die Brontos in der fiktiven Geschichtenwelt und vergessen die Realität: „Großmutter Anita, eine fantastische Kuchenbäckerin, passte beim Lesen nicht auf und ließ ihr Buch in den Teig fallen (naja, immerhin war es nicht ihr Gebiss).“ Welchen Bezug das hier Erzählte zur titelgebenden Bücherwaschmaschine hat, soll an dieser Stelle nicht verraten werden, doch bleibt die Empfehlung für eine Geschichte, in der diese glückliche, rotbäckige Familie uns naherückt durch den klar wiedererkennbaren Strich des portugiesischen Künstlers Sebastião Peixoto. Eine Empfehlung. (Carla Maia de Almeida (Autor) Sebastião Peixoto (Illustration): „Die Bücherwaschmaschine“, aus dem Portugiesischen übersetzt von Claudia Stein, Atrium, 32 Seiten, 13 Euro, ab 5 Jahre).
Im vergangenen Jahr starb der deutsch-US-amerikanische Kinderbuchautor Eric Carle, dessen berühmteste Veröffentlichung „Die kleine Raupe Nimmersatt“ seit 1969 Kleinkinder auf der ganzen Welt begeistert; weshalb sie natürlich nicht fehlen darf in seinem großen Tierbuch, das sich gleich acht verschiedenen Lebensräumen nähert: Dschungel, Savanne, Wüste und so weiter. Jedem Kapitel sind wenige Sätze vorangestellt, auch zu den einzelnen Viechern gibt es nur die allernötigsten Informationen: „Vom Kopf bis zu den Hufen ist die Giraffe das größte Tier der Welt. Ein Männchen (oder Bulle) kann fast sechs Meter hoch werden – das sind drei erwachsene Menschen übereinander.“ Es ist also kein Tierlehrbuch im eigentlichen Sinne, sondern faszinierend, weil wir so erfahren, wie Eric Carle die Eule, den Panda, einen Narwal interpretiert. Es gab bereits ähnliche Bücher von ihm wie „Von Kopf bis Fuß“ oder „Eric Carle’s Großes Tierbilderbuch“, allesamt Sammelstücke; dennoch kann man sich nicht sattsehen an auch nur einem der hier abgebildeten 180 Lebewesen. Ein großer Künstler. („Eric Carles großes Buch der Tiere“, aus dem Englischen von Leena Flegler, mit Ausklappseite, Gerstenberg, Hildesheim, 64 Seiten, 19 Euro, ab 3 Jahre)
Dass im Paradies mehr geschehen kann als ein Sündenfall, zeigen Jürg Schubinger und Rotraut Susanne Berner. Nackt liegen Adam und Eva auf einem Polster aus Moos, schauen in den Sternenhimmel und philosophieren über die Ewigkeit. Eva möchte die Sterne zählen, gleichgültig, wie lang es dauert. In Wimmelbildern, umgeben von verschiedenen Pflanzen (Farne, Pilze, Palmen) und Getier (Brontosaurus, Wildschwein, Tausendfüßler) kommen Adam und Eva ohne die verbotene Frucht zur Erkenntnis. Eva spürt, dass sie etwas anderes als das Paradies begehrt, dass sie hier zwar alles hat, dass sie aber eigentlich weniger besitzen möchte, denn: „Uns bleibt hier ja nichts zu wünschen übrig.“ Adam ist ratlos und in seiner Ratlosigkeit erfindet er den Kuss. „Er erfand sogar mehrere Küsse: zwei Küsse, drei, vier, fünf. Eva rührte sich nicht vor lauter Vergnügen. Dann aber gab sie die Küsse zurück. Drei, vier, fünf sechs. Paradiesisch, flüsterte sie.“ Sehr charmant wird hier die Liebe statt die Vertreibung ins Zentrum der Paradiesgeschichte gestellt als Spekulation über die Geburt des Humanismus. (Jürg Schubinger (Text) und Rotraut Susanne Berner (Illustration): „Eines Nachts im Paradies“, Peter Hammer Verlag, 24 Seiten, 18 Euro, ab 10 Jahre).