Bücher sind Erkenntnismedien, und es bleibt faszinierend, auf welche je unterschiedliche Weise sie es bleiben mit jedem einzelnen Genre, jeder Gattung, innerhalb jeder Zielgruppe. Die Bilderbücher dieses Monats zeugen von einer ebensolchen Diversität – und sie verbinden uns mit dem Märchenhaften früherer Zeit (es geht um den Mond und um eines der bekanntesten Mädchen der Mythengeschichte), sie bringen uns das Schicksal eines standhaften Fußballers ebenso nahe wie die vielseitige Geschichte der Schrift.
Die gesellschaftspolitische Dimension des Fußballs war früh Thema zahlreicher (Jugend-)Romane wie „Klapperzahns Wunderelf“ des tschechischen Schriftstellers Eduard Bass aus dem Jahr 1922 oder Marieluise Fleißers „Eine Zierde für den Verein“ von 1931. Aus ähnlich ferner Zeit kommt eine der vielen Mythen um den legendären Mittelstürmer Matthias Sindelar, Kapitän der österreichischen Wunderelf, dessen Karriere endete mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 12. März 1938. Sein rätselhafter Tod am 23. Januar 1939, kurz vor Sindelars 37. Geburtstag, gibt noch heute Anlass zu Spekulationen. Fabrizio Silei erzählt, fabelhaft illustriert von Maurizio A. C. Quarello, die bewegende Geschichte um das letzte Spiel der österreichischen Nationalmannschaft gegen die Deutschen. Es wird enden im Eklat. Wie mit wenigen Worten in „Abseits. 1938. Ein Fußballer sagt nein“ die beklemmende Atmosphäre kurz vorm Zweiten Weltkrieg eingefangen wird, ist meisterhaft. Empfohlen tatsächlich und mit Recht ab 5 Jahre. / Jacoby & Stuart, 40 Seiten, 14,95 Euro.
Am 16. Juli feiern wir 50 Jahre Mondlandung, und neben zahlreichen Neuerscheinungen bleibt dieses 2018 erschienene Buch von Hannah Pang und Illustrator Thomas Hegbrook ein Ereignis. Es verspricht „mystische Geheimnisse und wissenschaftliche Fakten“, es will herausfinden, „warum der Mond bis ins heutige 21. Jahrhundert hinein eine beständige Quelle der Faszination, gedanklicher Höhenflüge und der Forschung ist.“ Das gelingt auf abwechslungsreiche, jugendgerechte und auf Text- wie Bildebene stringente Weise, die viele Aspekte beleuchtet, ohne auszufransen. Wir erfahren, dass der griechische Astronom Aristarch von Samos bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. die These aufgestellt hat, dass die Erde um die Sonne kreist, und dass 2200 Jahre später eine enge Verbindung zwischen Mondzyklen und den Aktienkursen beobachtet wurde: bei Neumond sind die Gewinne deutlich höher als bei Vollmond. Die Raketen-Revolution wird ebenso umfangreich beobachtet wie die Darstellung des Mondes in der traditionellen chinesischen Kunst (wo der Mond ein kleines, weit entferntes Objekt ist), während japanische Bilder häufig einen großen Mond zeigen, der von Ästen oder Wolken teilweise verdeckt wird. Bekannte Mondmelodien werden aufgelistet, vom deutschen Wiegenlied des Matthias Claudius (Der Mond ist aufgegangen) bis zu David Bowies Major Tom. Empfohlen ab 11 Jahre. / 360 Grad, 176 Seiten, 20 Euro.
Um ungefähr so viel zu schreiben wie in den vergangenen 5.500 Jahren zusammengenommen brauchen wir dank Internet nur zwei Tage, was kein Wunder ist: mittlerweile haben mehr Menschen Zugang zu Mobiltelefonen als zu einer Toilette. Von der Keilschrft zum Emoji reicht diese hochinteressante, im Graphic-Novel-Stil illustrierte Einführung des mehrfach ausgezeichneten Vitali Konstantinov. Neben zahlreichen Worterklärungen gibt es im Anhang auch ein Nachwort von Johannes Bergerhausen. Der Professor für Typographie und Buchgestaltung an der Hochschule Mainz erinnert, dass die aktuelle Version 12.0 des Zeichenstandards Unicode 137 929 Zeichen (inklusive Emojis) auflistet, und er weist hin auf eine seit wenigen Monaten existierende Seite (hier), wo eine Übersicht aller Schriftsysteme die bereits im Buch entfachte Neugierde ins Unermessliche treiben kann. Empfohlen ab 10 Jahren. / Gerstenberg, 80 Seiten, 25 Euro.
„Wenn ich ein Vöglein wär’ und auch zwei Flügel hätt’…“ Jene, die keine Kinder mehr sind, haben im Idealfall das magische Denken verloren. Das Zauberhafte verliert deshalb nicht an Faszination – und es bleibt wichtig für die Entwicklung eines Menschen. Seit jeher wird diese Magie eingeübt durch die märchenhafte Erzählung, und es wundert kaum, dass weiterhin die gesammelten Geschichten der Brüder Grimm verlegt werden. Textlich bearbeitet von Gertrud Posch und Annabel Lammers, illustriert mit verwunschen Zeichnungen der 1990 geborenen Francesca Dell’Orto aus Mailand (hier geht es zu ihrer Homepage) kommt nun »Rapunzel« (die Pflanze ist uns Zeitgenossen bekannt als Feldsalat). In detailreichen Panoramabildern wird von der Ehefrau erzählt, die sich Rapunzeln aus dem nachbarschaftlichen Garten wünscht; der ausgerechnet einer Zauberin gehört. Wie in vielen Rapunzel-Versionen wird auch in der nun vorliegenden Fassung hier nicht erwähnt, dass die Frau schwanger und Feldsalat stark eisenhaltig ist – aber diese »Umstände« bleiben wichtig für ein tieferes Verständnis der Geschichte. Der Mann kommt dem Wunsch seiner Liebsten nach und „seine Frau genoss den frischen Salat, doch konnte sie fortan an nichts anderes mehr denken und verlangte nach mehr“, – ansonsten würde sie sterben.
Es ist klar, dass mit der zum Diebstahl motivierenden Frau der Sündenfall aufscheint, und die zahlreichen Gewächse, die Dell’Orto zeichnet verweisen deutlich auf den Garten Eden. Den Brüdern Grimm folgend wird der Mann von der Zauberin erwischt. Sie lässt scheinbar Gnade walten mit den Worten: „Ich erlaube dir, von meinen Rapunzeln zu nehmen, so viel du willst. Dafür aber sollst du mir das Kind geben. Ich will für es sorgen wie eine Mutter.“ – Als eben dieses Kind geboren wird, erscheint die Zauberin, gibt dem Kind den Namen Rapunzel und nimmt es mit sich. „Rapunzel ward das schönste Kind unter der Sonne. Als es zwölf Jahre alt war, sperrte die Zauberin Rapunzel in einen hohen Turm, der im Walde lag und weder Tür noch Treppe aufwies.“ Das Mädchen wird auf ihrem Weg zur erwachsenen Frau gefährlich und muss deshalb weggesperrt werden. Am Ende wird sie ein Ritter erlösen, und wenn sie nicht gestorben sind… Die Besonderheit dieses ab 3 Jahren empfohlenen Buchs besteht in den aufklappbaren Seiten, dem edlen Papier, in seiner märchenhaften Aufmachung. / Bohem Press, 52 Seiten, 24,95 Euro.