Es war kein Hals-, aber doch ein Beinbruch, der im vergangenen Dezember den Bilderbuchsamstag abrupt gestoppt hat – nach dem Lexikon einzigartiger Tiere. Weiter geht es jetzt mit einer grauen Stadt, dem wuscheligen Detektiv Samson und dem neugierigen Egel Balthasar Blutberg.
„Für einen Menschen, der keine Bildung in Naturgeschichte erfahren hat, ist ein Spaziergang auf dem Land oder am Strand wie der Besuch einer Galerie, in der neunzig Prozent der wundervollen Kunstwerke mit der Vorderseite zur Wand aufgehängt wurden“, sagte der englische Biologe Thomas Huxley im 19. Jahrhundert. Mit dieser schönen Analogie eröffnet ein Kinder-Lexikon, das dazu einlädt, höchst wundersame Tiere kennenzulernen, die Kunstwerke also umzudrehen, um zu erfahren, was sich hinter Buckelzirpe, Axolotl oder den Pfeilgiftfrosch verbirgt, der auf Latein als Phyllobates terribilis bezeichnet wird. Weil sich das kein Kind merken kann, schlägt „Das Lexikon einzigartiger Tiere“ stattdessen den wesentlich lustigeren Namen „Quak mirdasliedvomtod“ vor. Jedes der hier vorgestellten 56 Tiere wird für die junge Leserschaft umgedichtet – und vielleicht kann man ahnen, wer mit „Einhornus mobydickus“ gemeint ist, oder mit „Gluckus perückus“ – so bezeichnet werden hier der Narwal und das toupierte Seidenhuhn.
„Die fabelhaften Tiere, die du in diesem Buch kennengelernt hast, gibt es einfach (genau wie dich und mich). Sie müssen uns gar nichts beweisen.“ So schließt dieses Buch achtzig Seiten später, nachdem vorgestellt wurde: das Erdferkel, umgetauft zum „Buddelschweini bangii“, der Fetzenfisch „Zwergdrago ozeanicus“ und die „watschla romantica“ – also Eselspinguine, die dafür bekannt sind, dass deren Männchen Steine aufheben, um sie ihrer auserwählten Pinguindame anzubieten. Viel Quatsch zur Unterhaltung, vergnüglich will dieses Lexikon sein, mit allerlei kuriosen Fakten, sodass nicht nur die pseudolateinischen Tiernamen im Gedächtnis bleiben, sondern auch Informationen wie die über den antarktischen Eisschild. Er besteht zu drei Prozent aus gefrorenem Pinguin-Urin – immerhin leben die „watschla romantica“-Tiere seit nunmehr 30 Millionen Jahren in der südlichen Polarregion. Philip Bunting: „Das Lexikon einzigartiger Tiere“, aus dem Englischen von Eva Sixt, Carlsen Verlag, Hamburg, 80 Seiten, 16 Euro, ab 4 Jahre
In dieser Zeit wird eine bunte, also farbenfrohe Gesellschaft offensichtlich angegriffen – die Correctivrecherchen haben die demokratische Öffentlichkeit bestürzt. Den Kritikern dieser divers genannten Welt kann nun das krasse, von ihnen offensichtlich gewollte Gegenteil vorgeführt werden, nämlich jenes uniformierte Grau, das dann als Alternative herhalten muss. In Torben Kuhlmanns neuer Geschichte ist Robin ein junges, im knallgelben Friesennerz vorgestelltes Mädchen, das gerade mit ihrem augenscheinlich alleinerziehenden Vater umgezogen ist. Sie blickt, die Umzugskartons gestapelt neben sich, aus dem Fenster der Dachwohnung auf die umliegenden, grau in grau getönten Häuser. Aber: „War die Stadt wirklich überall so grau? Oder täuschte der Ausblick auf dem Fenster? Robin hielt nach Farben Ausschau. Hinter jeder grauen Häuserecke lagen jedoch nur weitere graue Straßen – voller grauer Autos, grauer Schilder und grauer Menschen.“ Mit ihrer farbenfrohen Bekleidung ist Robin eine Außenseiterin, andere Hausbewohner stören sich an ihrer „grellen“ Erscheinung. Zusammen mit einem neuen, ebenfalls das Bunte liebenden Freund kommt sie nach einigen Bemühungen hinter ein industrielles Grau-Komplott. Man denkt unweigerlich an Michael Endes, gerade 50-jährigen „Momo“-Roman. Torben Kuhlmann (bekanntgeworden durch seine Mäuseabenteuerreihe „Lindbergh“, „Armstrong“, „Edison“ und „Einstein“) hat im geradezu klassischen Strich diese bunt endende Abenteuergeschichte illustriert, die am Ende die Druckereifarben hinterm eintönigen Grau staunenswert erstrahlen lässt. Torben Kuhlmann: „Die graue Stadt“, NordSüd, Zürich, 64 Seiten, 20 Euro, ab 8 Jahre
Seit Ali Mitgutsch das Genre der Wimmelbücher ersonnen hat, 1968 mit „Rundherum in meiner Stadt“, suchen Kinder begeistert in scheinbar unübersichtlichen Tableaus. Die Illustratorin Rotraut Susanne Berner hat diese kleinteilige Bilderbuchform bekanntlich weiterentwickelt, nun wimmelt Katerina Goreliks „Detektiv Samson“, der gleich sechs Aufträge innerhalb eines Tages erhält: der Frosch sucht seine immerblühenden Blumen, die Katze ihre zehn Kinder, das Huhn die befruchteten Eier, der Tausendfüßler zehn Stiefel, die Spitzmaus Teile ihrer neuesten Erfindung, und die Elster – ein Schelm, wer hier Böses denkt – zehn Schmuckstücke. Die entwendeten Sachen sind auf zehn Doppelseiten versteckt: unter Tage, in einer Tropfsteinhöhle, auf dem Campingplatz. Detektiv Samson ermittelt zwischen Yetis, Zwergen, feuerspeienden Drachen, bis alle beisammen sind, inklusive der frisch geschlüpften Küken. Ein trickreiches, kreatives Wimmelbuch, das Kinder einige Winterstunden hinweg beschäftigen kann. Katerina Gorelik: „Detektiv Samson“, aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann, Insel, 36 Seiten, 18 Euro, ab 4 Jahre
Nicht nur das bereits im Dezember vorgestellte „Lexikon außergewöhnliche Tiere“, sondern auch dieses Bilderbuch aus dem Jahr 2020 rückt Seltsamkeiten der Fauna in den Mittelpunkt, neben Vögel wie Dickkopf, Nimmersatt und Schuhschnabel auch die Dattelmuschel, den Hönigdachs und den Rattenigel. Star der phantasiereichen Geschichte ist jedoch Blutegel Balthasar Blutberg, „Bobo“ nennt sich dieses Viech: „Er hauste in einer, ja doch, gerade mal etwas größeren, kaum hüfttiefen Pfütze, die vom Grundwasser gespeist wurde, ganz allein auf weiter Flur.“ Als Blutegel kennt er jedoch nur die Haxen der anderen Tiere, nicht den Rest der Statur und so stellt er sich die wunderlichsten Kreaturen vor. Er forscht nach, möchte die kompletten Wesen erfassen und schließt Freundschaft mit jenen, die sich im Tümpel Erleichterung von ihren Schmerzen erhoffen: „Und sie alle trafen sich fortan einmal im Jahr an Bobos Tümpel, feierten gemeinsam ein großes Fest und irgendwelche Äffchen brachten tatsächlich regelmäßig ein Feuerwerk mit.“ Mal realistisch illustriert, dann wieder höchst abstrakt, wie an eine Schultafel gemalt, mit Collageelementen, mit echten und erdichteten Viechern des kreativen Duos: Michael Stavaric (Text) und Dorothee Schwab (Illustration): „Balthasar Blutberg“, Luftschacht, 56 Seiten, 24 Euro ab 3 Jahre