Eine überaus fleißige Büro-Spitzmaus, schwer arbeitende Straßenbauer, ein Wald, der zum Einschlafen ist (inklusive Gespenst) und ein Specht, dem es wirklich schlecht geht bilden das bunte Treiben im Karnevalsmonat Februar.
Einsamkeit ist in Industriegesellschaften ein großes Thema. Deshalb gibt es in zahlreichen Ländern staatliche Anlaufstellen, die sich um Menschen kümmern, die keinen Partner und auch keine Freunde an ihrer Seite haben. Das deutsche Familienministerium unterstützt Modellprojekte für Menschen mit erhöhtem Einsamkeitsrisiko. Interessanterweise sind hierzulande vor allem jüngere Menschen von Einsamkeit betroffen. Man kann also keinesfalls zu früh diese spezifische Form der Unverbundenheit literarisch thematisieren. Die Japanerin Akiko Miyakoshi stellt in ihrem Bilderbuch „Die kleine Spitzmaus“ vor, ein putziges, ebenfalls einsam wirkendes Tierchen, das sein Leben der Erwerbsarbeit unterordnet: „Ein Tag in ihrem Leben verläuft ungefähr so: Wenn ihr Wecker um sechs Uhr klingelt, geht sie zuerst auf die Toilette, dann schüttet sie Wasser in ein Glas und trinkt es. Zum Frühstück isst sie Honigkekse. Drei Stück. Sie isst sie von ihrem Lieblingsteller. Dann verschließt sie die Tüte mit den Keksen sorgfältig mit einer Klammer und legt die Tüte in ihren Brotkorb.“ Bei all diesen Tätigkeiten ist die Spitzmaus allein. Allein steht sie vorm Badezimmerspiegel und bürstet ihr Fell. Allein verlässt sie im Dämmerlicht die kleine Wohnung. In der U-Bahn versteckt sie sich allein hinter einer riesengroßen Tageszeitung. Akiko Miyakoshi zeigt ihr Wesen in zarten, zum Teil aquarellierten Kohlezeichnungen, oft in der Rückansicht, konfrontiert mit einer Welt, die ihr schlechterdings zu groß erscheinen muss. Auf der Arbeit beweist sich das Tier als äußerst fleißiges Mäuschen – nur während der Mittagspause speist es gemeinsam mit dem menschlichen Kollegen Tom. Allein nimmt es den Heimweg, kauft das Nötigste ein, und sitzt abends ohne Gesellschaft am runden Küchentisch. Danach beschäftigt es sich mit einem Zauberwürfel. „Um neun ist es fast Zeit, ins Bett zu gehen. Die kleine Spitzmaus nickt sanft, legt ihren Zauberwürfel vorsichtig beiseite und klettert ins Bett.“
Als „Karoshi“ wird in Japan der Tod durch Überarbeitung bezeichnet. Das Wort „Hikikomori“ steht wiederum für Personen, die sich daheim einschließen und den Kontakt zur Außenwelt meiden. An beiden Phänomenen schrammt Akiko Miyakoshis kleine Spitzmaus haarscharf vorbei. Der leuchtende Traum von einer Südseereise muss vermutlich Illusion bleiben. Die Tage wirken normiert. Kinder wie Erwachsene können während der Lektüre überlegen, wie sie die Lebensführung des Nagers einschätzen. Ist das Tier unglücklich, genügsam, weiß es nichts von seiner Einsamkeit? Erst am Ende des Jahres bekommt die Spitzmaus Besuch. Die Freunde bleiben an diesem Abend nur einige Stunden – dann verabschieden sie sich. Es ist „plötzlich ganz still“ in der verlassenen Wohnung: „Die kleine Spitzmaus ist jetzt müde und reibt sich die Augen. ‚Dieses Jahr war ein gutes Jahr’ murmelt sie.“ Klaglos akzeptiert das Tier die Mühsal des Lebens, also wollte es unbedingt der kantischen Neigung zur Pflicht nachkommen. Zugleich bewahrt es sich eine rührende Achtsamkeit für die kleinen Freuden des Alltags: für den erfrischenden Duft eines Apfels, für eine Unterseeszene im TV-Programm, für das Nachspüren zarter Sehnsucht, für ein Glas Kirschblütenhonig aus dem lang zurückliegenden Frühjahr. So ist Akiko Miyakoshis Bilderbuch „Die kleine Spitzmaus“ dreierlei: eine zärtliche „Mus faber“-Fabel, ein Versuch über die Achtsamkeit und ein kindgerechter Einblick in das Leben so vieler Eltern, die sich entgegen aller Diskussionen über unbezahlte Krankheitstage und angeblich zu geringer Arbeitsstunden Tag für Tag: den Buckel mäusekrumm schuften. Akiko Miyakoshi: „Die kleine Spitzmaus“, aus dem Japanischen und Englischen von Paula Weber und Nicola T Stuart, Verlagshaus Jacoby & Stuart, 80 Seiten, 14 Euro, ab 5 Jahre
Was in Deutschland viel zu selten passiert: dass etwas gebaut, ausgebessert, dass an der Infrastruktur gearbeitet wird. In Ermangelung genügender Arbeitsgeräte in freier „Wildbahn“ greifen wir zurück auf „Asphalt!“ der finnischen Illustratorin Salla Savolainen. Das von ihr gestaltete Malocher-Wimmelbuch zeigt, wie eine Straße gebaut wird – und was an Vorarbeit nötig ist. Rüttelplatte, Straßenwalze, Prismenstab und Raupenbagger werden detailliert beschrieben. Man folgt der Entstehung von Asphalt, besichtigt einen Steinbruch, das Mischwerk („Asphaltherstellung ist ein bisschen wie Backen, allerdings ist der Teig schwarz“). Wir kriechen unter die Fahrbahndecke, sehen Kanäle und Kabelschächte, besuchen das Chemielabor, sind Zuschauer auf einer Heißrecycling-Baustelle, in der alter Asphalt sofort aufbereitet, anschließend wieder verbaut wird, bis endlich der wohlverdiente Feierabend anbricht. Zwischendurch muss man unweigerlich an Geier Sturzflug denken – an diese einst wahren, heute nahezu illusorischen Zeilen: „Wenn früh am Morgen die Werksirene drönt / und die Stechuhr beim Stechen lustvoll stönt, / in der Montagehalle die Neonsonne strahlt / und der Gabelstaplerführer mit der Stapelgabel prahlt, / ja, dann wird wieder in die Hände gespuckt. / Wir steigern das Bruttosozialprodukt.“ Salla Savolainen: „Asphalt! Wir bauen eine Straße“, aus dem Finnischen von Elina Kritzokat, Hanser, 40 Seiten, 14 Euro, ab 4 Jahre
Der kanadische Illustrator und Animateur Jon Klassen war beteiligt an den „Kung Fu Panda“-Filmen, er hat das Musikvideo zu „I´ll Go Crazy If I Don´t Go Crazy Tonight“ der Band U2 gestaltet und hierzulande für Aufsehen gesorgt mit Büchern wie „Drei Ziegenböcke namens Zack“ oder der hoch erfolgreichen „Wo ist mein Hut“-Trilogie. Sein oft extrem reduzierter Stil funktioniert, das zeigt diese gerade erschienene Geschichte, auch im Pappbilderbuchsegment. „Dein Wald“ ist ungefällig, eher künstlerisch. Die Wasserfarbenbilder sind auf reinweißem Papier gesetzt, das in Babyhänden rasch angegrabbelt wird. Erzählt wird eine leicht verständliche Kosmologie, beginnend mit einer wie aus dem Nichts erscheinenden Kulleraugen-Sonne: „Das ist deine Sonne. Sie geht gerade auf für Dich.“ Seite für Seite erscheinen weitere Objekte: Tannenbäume, eine ebenfalls anthropomorphisierte Hütte, ein paar Felsen, dann das erste Lebewesen: „Das ist ein Waldgespenst. Es ist nett. Es kommt nur nachts heraus.“ Die Bilder werden immer dunkler, die Nacht bricht herein, so werden alle Kinder gewiss müde: „Jetzt schläft dein Wald. Jetzt kannst du auch schlafen und dir vorstellen, was du dort tun willst morgen früh.“ Jon Klassen: „Dein Wald“, aus dem Englischen von Thomas Bodmer, NordSüd 24 Seiten, 12 Euro, ab 2 Jahre
Nun geht es derzeit den Wenigsten gut – aber diesem Specht geht’s richtig schlecht: „Ich bin beim Arzt. Weil mir der Kopf wehtut. Der Arzt sagt, das kommt vom Klopfen. ‚Du holtst Dir noch eine Gehirnerschütterung’.“ Der Norweger Ragnar Aalbu, im Hohen Norden bekanntgeworden mit seinen geometrisch inspirierten Illustrationen, erzählt im kühlen Blau-Grün, das seiner Heimat zu eigen ist, vom unglücklichen Vogel, der seinen urnatürlichsten Trieben nicht mehr nachkommen kann. Er wird abgelenkt von seinem lieben Freund, dem Maulwurf, der mit der Fähre aus Dänemark angereist ist. „’Hast du nicht mitbekommen, dass Klopfen total out ist?’, fragt der Maulwurf. ‚Fliegen übrigens auch. Buddeln hingegen ist gerade schwer angesagt.“ (Der Freund hat offensichtlich seinen Äsop gelesen, denn so wie der Fuchs die für ihn unerreichbaren Trauben als vermutlich viel zu sauer abwertet, tröstet der Maulwurf seinen deprimierten Specht). Seine Heimstatt hat der Maulwurf selbst gebuddelt. Es ist übrigens Quatsch, wenn Maulwürfe so oft mit Brille dargestellt werden: die Gläser müssen unter Tage zwangsläufig permanent verschmieren. Ein Loblied auf die Löcher – nana, jetzt keine schmutzigen Gedanken bitte: dieses schöne Bilderbuch ist für Kinder ab 4 Jahre. Ragnar Aalbu: „Herrn Specht geht’s schlecht“, aus dem Norwegischen von Katrin Frey, Kraus Verlag, 40 Seiten, 18 Euro