Giraffenhalskäfer, ein schlechtgelaunter Bus, „Mr. Tall and Mr. Small“ und ein dreieckiger Hai beleben die neuen Bilderbücher – mit der Entdeckung eines frühen Werks von Tomi Ungerer.
Auf die Pilzparade des vergangenen Jahres folgt nun das neue, autobiographisch grundierte Bilderbuch der Kanadierin Elise Gravel. Sie erinnert sich: „Als ich ein Kind war, gehörte das Beobachten von kleinen Tierchen zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Ich hielt überall Ausschau nach ihnen, Bestimmt war ich ziemlich nervig. Tut mir leid, ihr Tierchen.“ Es ist der Beginn einer Reise durch die Welt der kleinen Krabbler. Vorgestellt werden die Formen von Insektenfühlern (gesägt, gekniet, gefächert usw.) und –flügeln oder auch das kreisförmige Leben einiger Insekten, von den Eiern über die Larve, zur Nymphe, bevor ein schöner Schmetterling herauskrabbelt.
Zur Anschaulichkeit stellt Gravel einige süße Exemplare vor wie die gemeine Rollassel (strenggenommen kein Insekt, sondern enger mit den Garnelen verwandt), die rotleuchtende Skorpionsfliege (deren Schwanz tatsächlich an den Stachel eines Skorpions erinnert), der Giraffenhalskäfer oder die gefährliche Gottesanbeterin, die nur lebendige Insekten und sogar kleine Vögel frisst. Das Buch geht unter die Erde zu Vogelspinne, Zikade, Regenwurm – wir erfahren, dass Raupen zwölf Augen und Grashüpfer Ohren im Bauch haben und dass Schaben eine Woche lang ohne Kopf leben können. Wie die „Pilzparade“ ein kleinkindgerechtes, staunenswertes Buch – inklusive Fantasieinsekten wie den Strubbelpummel, die Schuppenfliege und den Cowboykäfer. Elise Gravel: „Käferkolonne“, aus dem kanadischen Französisch übersetzt von Anne-Kathrin Häfner, Tulipan, 64 Seiten, 18 Euro, ab 4 Jahre
Der Diogenes-Verlag veröffentlicht einen Bilderbuch-Schatz erstmalig auf Deutsch: Tomi Ungerers „Herr Groß und Herr Klein“, ursprünglich erschienen unter dem reimenden Titel „Mr. Tall and Mr. Small“ bei Young Scott Books, New York. „Einer war groß / einer war klein, / verschiedener konnten die beiden nicht sein. / Herr Giraffe ragte in luftige Höhen. / Maus hingegen war kaum zu sehen –/ sie nannten ihn ‚Herr Klein’.“ Damit ist auf der ersten Seite die Identifikationsfigur für die jüngsten Zuhörerinnen und Zuhörer vorgestellt. Unterschiedlich wie Kind und Erwachsener erscheinen sie – „doch Flöhe hatten sie / alle beide.“ Nachdem die Giraffe ob ihrer Länge gegenüber dem kleineren Kameraden angegeben hat, entspinnt sich ein Überbietungswettbewerb. Herr Klein nennt sich „fixer und heller“, die Giraffe „länger und schneller“. Plötzlich droht Gefahr durch einen Waldbrand, vor dem sie gemeinsam fliehen – und jeder hat etwas zur Rettung beizutragen. So verstehen sie, dass Unterschiedlichkeit eine Freundschaft eben nicht verhindern, sondern bereichert. Ein dichtendes Bilderbuch für Kinder ab 3 Jahre. Tomi Ungerer (Text), Barbara Brenner (Illustration): „Herr Groß und Herr Klein“, aus dem amerikanischen Englisch von Anna Cramer-Klett, Diogenes, 32 Seiten, 20 Euro.
Ob „Dreieck, Quadrat, Kreis“ von Mac Barnett und Jon Klassen oder zuletzt „Wolkentiere im Quadrat“ von Anna Gusella – es gibt zahlreiche Bilderbücher, die mit geometrischen Formen spielen. Für die Allerkleinsten erscheint jetzt ein Pappbilderbuch des argentinischen Illustrators Marcos Farina. Seine Arbeit ist nach eigener Aussage eng mit dem Handwerk verbunden, das Spiel mit Drucktechniken ist eines seiner Spezialgebiete. 15 Jahre lang war Farina Professor für Architektur, Design und Stadtplanung an der University of Buenos Aires. So geschult sieht man vermutlich unweigerlich in allem schöne Formen und kann sie humorvoll übertragen, wie hier in leuchtenden Farben, wenn sich das Oval zum Krebs, das Dreieck zum Hai und das Herz in einen tannengrünen Frosch verwandelt. Schöner Blick in die kunterbunte (und phantasievoll umgestaltete) Welt der Wassertiere als erste Designschule für Kinder ab dem ersten Lebensjahr. Marcos Farina: „Fabelhafte Formen“, Kleine Gestalten, 24 Seiten, 9,90 Euro
Avanciert, da besonders schwierig, erscheint Film- und Illustrationskunst, der es gelingt, eine Geschichte ohne große Worte zu erzählen, wie nun Christina Röckl mit „Bus“, das am kommenden Montag bei kunstanstifter erscheint. In zunächst gelb-blauen Aquarellen erzählt die Leipzigerin von der rasanten Fahrt eines offensichtlich schlechtgelaunten Omnibusses, der nicht weniger schlecht gelaunte Passagiere kutschiert. Doch ein fideler, langnasiger Clown mit schlackernden Ärmchen stößt in dieser Nacht zur Reisegruppe. Es schafft es – in Post-Corona-Zeiten schaut man neu auf dieses Phänomen – die anderen anzustecken mit seiner Fröhlichkeit. Die Szenerie hellt auf, Farben kommen hinzu, die Leute werden fröhlicher. Eine feuerwehrrote, getigerte Katze mit Hut (auf dem Rücken, also anders als in der Augsburger Puppenkiste) und Sonnenbrille begleitet den Bus vom Wegesrand aus. Kein Wunder, dass sich diese Veröffentlichung selbst als „Buch mit Herz“ bezeichnet. Wenn Röckl gerade keine Bücher macht, Bilder malt oder mit ihren Werken durch die Welt tourt, wettet sie an langweiligen Regentagen mit ihrem Partner, wer die meisten Menschen auf der Straße zum Lächeln bringen kann. Mit diesem hochkantigen Bilderbuch ist es ihr mal wieder gelungen, man lächelt automatisch mit. Christina Röckl: „Bus“, kunstanstifter, 36 Seiten, 22 Euro, ab 2 Jahre