Unsere Umweltsäue bekommen ihr eigenes Buch. Licht in die letzten Winternächte bringen Leuchttürme auf der einen und das letzte Aufbäumen der depressiven Bremer Stadtmusikanten auf der anderen Seite – und über allem leuchtet der Himmel.
EINS Wir leben in GPS-Zeiten, doch Leuchttürme sind weiterhin ein Sehnsuchtsort. Sie sind aber auch notwendig, weil elektronische Navigationsgeräte bei Unwetter ausfallen können. Vielfach geteilt wurde Anfang 2019 ein Jobangebot, das über 100.000 Euro bringt; als Leuchtturmwärter eines kleinen Eilands in der Nähe von San Francisco. Der russische Autor Roman Belajew hat ein liebevoll illustriertes Kinderbuch geschrieben, das beginnt mit einem Klassenausflug mehrerer GrundschülerInnen, die Fragen an Otto haben, den alten Leuchtturmwärter: Ist im Turm eine Lampe? Wie kann man Leuchttürme unterscheiden? Wozu gibt es Leuchttürme überhaupt?
Wir erfahren, dass Helgoland das stärkste Leuchtfeuer Deutschlands hat, mit einer 2000 Watt starken Lampe, deren Licht über 50 Kilometer reicht. Neu mag für viele LeserInnen sein, dass Leuchttürme bei Nebel von Licht- auf Tonsignale umstellen, mit Pressluftsirenen, Gongs, Glocken und früher auch mit Kanonen. Wir werden erinnert an den Pharos von Alexandria, der zu den Sieben Weltwundern der Antike gehörte – und auch daran, dass die Freiheitsstatue vor New York einst als Leuchtturm benutzt wurde. Der älteste noch aktive Leuchtturm steht übrigens an der spanischen Atlantikküste und ist seit dem 2. Jahrhundert im Betrieb. (Roman Beljajew: „Leuchttürme. Wegweiser der Meere“, aus dem Russischen von Thomas Weiler, Gerstenberg, 48 Seiten, 15 Euro)
ZWEI „Fridays For Future“ ist eine der wichtigsten Marken unserer Zeit – und hätte es nicht die absurde Diskussion um den „Umweltsau“-Auftritt des WDR-Kinderchors gegeben, wäre dieses Buch eine Miszelle, die sich einreiht in zahlreiche Klimaschutz-Veröffentlichungen unserer Tage. Nun besitzt die einfache Geschichte mit dem ungeplant schmissigen Titel eine hochpolitische Brisanz. Es ist geeignet, erneut rechte Boomer-Ideologien zu mobilisieren. Erzählt wird von den Schweinen auf der einen und von den Pinguinen auf der anderen Seite unserer Erde. Als Letzteren das Himbeereis schmilzt versuchen sie herauszubekommen, weshalb es selbst am Südpol immer wärmer wird. Dazu passt, dass Forscher vor wenigen Tagen über 20 Grad Celsius in der Antarktis gemessen haben (hier). Schuld sind die Umweltsäue, die im industrialisierten Teil dieser Fabelwelt hemmungslos fliegen, Monstertrucks fahren und Kreuzfahrten buchen. Der hier dargestellte Kulturkampf wird weniger hitzig ausgeführt, als von den Menschen bekannt – mit Humor und treffend naiven Illustrationen der vielseitig arbeitenden Julia Neuhaus aus Hamburg (Julia Neuhaus (Illustration), Till Penzek: „Die Klimaschweine“, Kunstanstifter, 36 Seiten, 20 Euro)
DREI Bereits der Titel dieses hellen Bilderbuchs deutet an, dass Räume und unser menschliches Verhältnis zur Weite betrachtet werden. Stets wird die vermutlich weibliche Hauptfigur in einen Raum gestellt und dieser Raum in sein je eigenes Verhältnis zum Himmel gesetzt, begleitet mit kurzen, sehnsuchtsvollen Sätzen, je Seite höchstens einem: „Du bist immer da. Da drüben. Oder dort hinten. Manchmal scheinst du weit weg. Dann wieder nah. Wenn ich genau hinsehe. Jetzt versteckst du dich. Ganz leise. Mal gebe ich dir eine neue Form. Mal zeichnest du Bilder, die ich mir nie vorgestellt habe.“ Eine poetische Handreichung zum perspektivischen Sehen, die in drei Dimensionen zahlreiche Perspektiven findet. (Carolina Celas: „Bis zum Horizont“, aus dem Englischen von Claudia Stein, Kleine Gestalten, 40 Seiten, 14,90 Euro)
VIER Seit Jahren diskutieren wir über die (sogenannten) abgehängten Mitglieder unserer Wohlstandsgesellschaft. Dieses Märchen der Brüder Grimm wird zur rechten Zeit neu aufgelegt, berichtet es doch von jenen, die nicht mehr gebraucht werden; vom alten Mühlenesel, der vorm Abdecker Richtung Bremen flieht, und auf seinem Weg mitnimmt den schwächlichen Jagdhund Packan, der fürchtet, schon bald von seinem Herrn totgeschlagen zu werden. Hinzu kommt die seniore Katze Bartputzer, die bereits auf der Straße lebt, die das Weite gesucht hat, bevor es ihr endgültig an den Kragen geht: „Weil ich alt bin, meine Zähne stumpf werden und ich lieber hinter dem Ofen sitze als nach Mäusen herumzujagen, hat mich meine Frau ersäufen wollen.“ Ihnen schließt sich, wenige Stunden, bevor ihm der Hals abgeschnitten werden soll, Haushahn Rotkopf an. Die bis zum Grund ihres Seins Gedemütigten finden gemeinsam zu neuer Kraft, auch deshalb, weil sie aufeinandergestellt größer sind als alles Unglück dieser Welt, und weil sie gemeinsam kämpfend sogar Räuberbanden in die Flucht schlagen können. (Spoiler: in Bremen werden sie niemals ankommen, aber am Ende in ihrer Alters-WG trotzdem glücklich sein.) Der Mexikaner Gabriel Pacheco begeisterte zuletzt mit den grandios illustrierten Dschungelbüchern (hier im Blog). Mit melancholischem, geradezu depressiv-düsterem Strich findet er empathische Bilder für eine Geschichte, die den Charme eines letzten Aufbruchs hat, denn: „Etwas Besseres als den Tod findest du überall!“ (Brüder Grimm, Gabriel Pacheco (Illustration): „Die Bremer Stadtmusikanten“, Bohem, 36 Seiten, 19,95 Euro)