Gegen die europäische Unart, Afrika als ein Land statt eines Kontinents zu betrachten, gibt es nun ein hervorragendes Bilderbuch im Gerstenberg-Verlag. Die Pilzparade geht in den kanadischen Wald – der Mond braucht ein Kleid, doch gibt es einige Probleme mit der Konfektionsgröße, und ein zerstreuter Tierwärter verpasst den Omnibus.
Im April machte Star-Schauspieler Morgan Freemann gegenüber der Sunday Times deutlich, dass er die Bezeichnung „Afro-American“ unverschämt findet. Ebenso stört ihn, dass ein Kontinent permanent als ein Land betrachtet wird. Beinahe 1,4 Milliarden leben auf 30,2 Millionen km² – in der bereits höchst disparaten EU sind es 448,4 Millionen Menschen auf einer Fläche von etwa 4,2 Millionen km². Erste Abhilfe schafft das Bilderbuch „Afrika. Kreuz und quer durch einen bunten Kontinent“. Gestaltet und konzipiert wurde es von der ursprünglich aus Simbabwe stammenden, britischen Journalistin Kim Chakanetsa, Host des BBC-Podcasts „The Comb“, der afrikanische Geschichten ins Rampenlicht rückt – und vom ebenfalls bei der BBC arbeitenden Künstler Mayowa Alabi aus Nigeria.
Das Buch ist in verschiedene Regionen unterteilt, mit einer Zeitleiste der wichtigsten historischen Ereignisse (wobei Kriege, Genozide und Kolonisation nur spärlich erwähnt werden), mit Schlüsselfiguren und Vorbildern; von Literatur-Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah bis zum Weltrekordläufer Haile Gebrselassie, der als Jugendlicher täglich die zehn Kilometer zur Schule hin und wieder zurückgelaufen ist und später noch mit angewinkeltem linken Arm den Medaillen entgegenrannte, als hielte er seine Schulbücher fest. Wanderungen zentralafrikanischer Jäger und Sammler werden ebenso vorgestellt wie die reichen, hochentwickelten Kulturen der Nok (um 500 v.Chr. – 200 n.Chr.), der Alten Ägypter (ca. 2600 v. Chr. – 30 v. Chr.) der Kuschiten (um 1070 v.Chr. – 350 n.Chr) oder des Königreichs Dahomey (um 1600 – 1900) mit der einzigen, rein weiblichen Armee der Welt. Es gibt Sprichwörter wie: „Du kannst niemals Reis säen und erwarten Mais zu ernten“ (Sierra Leone). Wir erfahren, wie Palmwein entsteht, dass die Sprache der Xhosa auch Klicklaute umfasst und dass sowohl Multiplikation als auch Algebra und Geometrie in Afrika entwickelt wurden. Schlichtweg: ya kichawi. Kim Chakanetsa (Text), Mayowa Alabi (Illustration): „Afrika. Kreuz und quer durch einen bunten Kontinent“, aus dem Englischen von Margot Wilhelmi, Gerstenberg, 96 Seiten, 26 Euro, ab 10 Jahre
Dreißig Auszeichnungen listet die Homepage von Linda Wolfsgruber, darunter den „Premio Andersen“ 1988 und den Christine Nöstlinger Preis 2022. Etliche Bücher, Zeitungs-Illustrationen und CD-Cover hat die 1961 in Südtirol geborene Künstlerin erstellt. Mit „Ein Kleid für den Mond“ erzählt Wolfsgruber ein Märchen Ludwig Aurbachers (1784-1847) nach, das von einem wandernden Schneider berichtet, der irgendwann auf dem Mond landet, und von diesem verpflichtet wird, einen Rock anzufertigen: „Der Rock war indessen bald fertig, und er stand dem Mond aufs allernetteste, trotz seiner Mißgestalt. Aber siehe da! nun schwoll der Kunde von Tag zu Tag, und sein Bauch wurde immer dicker, und der Rock immer enger.“ Diese einfache Geschichte variiert Wolfsgruber und bringt sie zu einem versöhnlichen Ende.“ Unser Schneider aber, welcher der vielen und langen Arbeit statt geworden, verließ insgeheim den Mond, und setzte seine Wanderung fort. Ob er aber zuletzt in den Himmel gekommen, das weiß man nicht“, heißt es bei Aurbacher. Bei Wolfsgruber bemerken hingegen alle, dass der hell strahlende Vollmond „längst das allerschönste Kleid“ trägt. Zum hundertjährigen Jubiläum des Wiener Jungbrunnen-Verlags gibt es dieses feine, mit Collageelementen gestaltete Kinderbuch, Zeichnungen mit bearbeiteten Fotoelementen, Fellstücken, einem gelben Schneidermaßband (auf diesem fährt der Schneider zum Mond), mit Geschenkpapiertrapezen und weiteren Gimmicks, die das Märchen zur Entdeckungsreise machen. Linda Wolfsgruber: „Ein Kleid für den Mond“, Jungbrunnen, 32 Seiten, 17 Euro, ab 4 Jahre
Bis ins Schulkindalter sind Realität und Mystik ebenengleich, das Wundersame ist selbstverständlicher Teil der erlebten Wirklichkeit. So erscheint möglich, dass irgendwo eine Figur wie Herr Anton lebt, der nicht nur Zoowärter ist, sondern auch mit den Tieren reden kann, ja, die Natur ist sein eigentlicher Lebensraum. Fremd wirkt er in die Moderne gestellt – grün wie die Bäume ist sein Anzug auf diesen nur sparsam kolorierten Bildern. Sein Gesicht hingegen ist müde, grau wie die Stadt, durch die er, begleitet von einem enervierenden „Biep-biep!“ an diesem Morgen hetzt, weil er den Bus verpasst hat. Viel zu spät kommt er im Zoo an: „‚Ich hoffe, du bist mir nicht böse’, entschuldigte er sich bei dem Elefanten. ‚Ich hab gestern Nacht sehr schlecht geschlafen’, erklärte er dem Pinguin.“ Sein gutes Verhältnis zu den Tieren beweist sich, als der völlig übermüdete Herr Anton auf einer Bank einnickt. „Und während Herr Anton schlief … borgte sich der Elefant einen Besen aus und fegte, erinnerte der Pinguin freundlich daran, den Zoowärter nicht zu wecken, sorgte das Nashorn dafür, dass auch die kleinsten Wesen zu fressen bekam und erklärte die Eule den Besuchern, wie wichtig Tierschutz ist.“ Es mag dahingestellt sein, ob Zoos und Tierschutz tatsächlich miteinander vereinbar sind, doch zeigt dieses Buch auf poetische Weise, wie reich ein Leben sein kann im Einklang mit der Natur und Herr Anton, der allein lebt, sitzt am Ende am Strand, von seinen Freunden umgeben, mit dem Elefanten, dem Nashorn, der Eule, dem Pinguin und – Sinnbild für das Langsame: mit einer Schildkröte, die die mit ihrem leuchtend grünen Panzer sonnenbadet. Philip C. Stead, Erin E. Stead: „Herr Anton verpasst den Bus“; aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn, Gerstenberg, 48 Seiten, 18 Euro, ab 4 Jahre
Erwachsene mögen beim Titel „Pilzparade“ an Risotto mit Pfifferlingen oder an Carlos Castañedas Experimente mit Psilocybin denken. Für Kleinkinder werden die Pilze hingegen anthropomorphisiert – glotzend schauen sie auf dem Cover wie in Erwartung der folgenden 64 Seiten. Elise Gravel berichtet vom Pilzesuchen mit ihren eigenen Kindern. „Ich mag alles, was merkwürdig ist, und Pilze sind zweifellos seltsam! Sie sehen aus wie Wesen aus dem Weltraum.“ Den Spannungsbogen so gespannt, werden allerlei Pilzarten vorgestellt, als höchst unterhaltsame Naturkunde, die einen sofort weitersuchen lässt. Fortgeschrittene greifen zu „Tausend Plateaus“, andere schauen ins Netz und erfahren: 120.000 Pilzarten sind bekannt, doch wird vermutet, dass zwei bis drei Millionen Arten bislang unentdeckt sind. Charmant führt dieses Buch durch ein faszinierendes Universum, Kinder in ihrer Welt abholend, auch mit infantilen Pups- und Kakavergleichen (tatsächlich werden Stäublinge in der Wissenschaft „Wolfsfurz“ genannt). Elise Gravel: „Pilzparade“, aus dem kanadischen Französisch von Anne-Kathrin Häfner, Tulipan, 64 Seiten, 18 Euro, ab 4 Jahre