Am Sonntagabend um 22:05 Uhr läuft mein einstündiges Feature über den Zusammenhang von Terrorismus und Kultur in BR2 Zündfunk Generator. Bereits Anfang der Woche habe ich ein Interview zum Thema mit Ulrike Draesner auf LesenMitLinks veröffentlicht (hier geht es zum Text) – Es folgt nun mein Gespräch mit Michael König, der gerade sein Buch „Poetik des Terrors – Politisch motivierte Gewalt in der deutschen Gegenwartsliteratur“ bei transcript veröffentlicht hat. Wir starten mit einer einfach klingenden Frage, bevor wir eintauchen in die Folgen von RAF, 9/11 und den palästinensischen Terror in München 1972.
Was ist denn Terrorismus?
Ich vertrete die allgemeine Erkenntnis der Forschung, dass der Terrorismus, so wie wir ihn kennen, ab dem 19. Jahrhundert los geht. Er hat natürlich Vorläufe. Auch ist der Akt der Selbsttötung in der westlichen Kultur verhaftet. Aber alles beginnt in Russland mit der Narodnaja Wolja. Das ist eine russische terroristische Vereinigung, die ein Attentat auf den Zaren verübt. Am 18. März 1881 wird Alexander II in St. Petersburg auf seinem Weg zu einer sonntäglichen Militärschau der Kavallerie durch zwei mit Nitroglyzerin gefüllte Handgranaten getötet. Die letzte Handgranate wird ihm direkt vor die Füße geworfen und beendet auch das Leben des Attentäters. Das ist die Geburtsstunde des Selbestmordattentates. Obwohl es natürlich avant la letter auf frühe Gruppen wie die Sicarii Assassines oder Zeloten zurück geführt werden kann.
Wie bist Du auf dein doch sehr knalliges Dissertationsthema gekommen?
Meine Ausgangsfrage war, wie nach den Anschlägen vom 11. September die Literatur Terroranschläge verhandelt. Mir ist damals aufgefallen, dass sich die deutsche, größtenteils journalistische 9/11-Literatur sehr auf die Attentate konzentriert, dass aber Attentäter-Biografien oder die Hintermänner gar nicht vorkommen. Ich wollte wissen, wie über Attentäter oder Terroristen als Person geschrieben wird. Klar war: ich beschränke mich auf die letzten zehn Jahre.
Welche Entdeckungen hast Du im Lauf der Arbeit an Deiner Dissertation gemacht?
Interessant fand ich, dass der Typ des islamistisch motivierten Attentäters, der heutzutage überall präsent ist, in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur kaum auftaucht. Stattdessen gibt es häufig einen Rückbezug zur RAF-Zeit. Das nimmt dann so krasse Züge an, dass bei Michael Wildenhains „Träumer des Absoluten“ ein Straßenkämpfer aus dem linksradikalen Milieu zum gewalttätigen Islamisten wird.
In Deiner Arbeit beschreibst Du auch, dass Terroristen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nicht nur als Täter, sondern irritierender Weise ebenso als Opfer dargestellt werden…
Wir leiden alle unter der Terrorangst, sehr deutlich dargestellt in Annegret Helds Roman „Fliegende Koffer“. Ebenso leiden wir unter der täglichen Terrorbedrohung. Das gilt insbesondere an der Front: für Polizisten oder Flugsicherheitsassistenten, wie es im Jargon heißt, die an den Flughäfen die Passagiere nach Waffen durchsuchen, und tagtäglich sogenannte Realtests überstehen müssen, wo dann insgeheim versucht wird, Waffen in den Sicherheitsbereich rein zu schmuggeln.
Was vor Kurzem tatsächlich gelungen ist…
Nicht nur wir sind Opfer, sondern auch die Terroristen selbst. Das ist dann bei Raul Zelik der Fall in dem Roman „Der bewaffnete Freund“. Dort wird ein ETA-Terrorist dargestellt, der selbst unter dieser jahrelangen Verfolgung durch die Polizei und dem Leben undercover zu leiden hat.
Ist Terrorismus nicht nur literaturfähig, sondern auch an sich künstlerisch, wie es der Band „Avantgarde und Terrorismus“ von Thomas Hecken nahelegt?
Die Terroristen stellen diesen Zusammenhang zwischen Kunst und Terrorismus selber her. Das liegt natürlich daran, dass vereinfacht gesagt Kunst im Allgemeinen und Terrorismus als politischer Akt mit den gleichen Inszenierungsstrategien arbeiten. Natürlich will der Terrorist viele Leute erreichen, natürlich will er Aufmerksamkeit auf sich ziehen durch das terroristische Attentat, und natürlich wird dieser Akt oft von Theoretisierung oder Interpretationen begleitet.
Gibt es für diese Nähe auch Belege in der Gegenwartsliteratur?
Als aktuelles Beispiel kann man sich den Roman „Teil der Lösung“ von Ulrich Peltzer ansehen. Dort wird eine Gruppe von Stadtaktivisten geschildert. Sie bedienen sich bei den Situationisten, indem sie beispielsweise Werbeslogans benutzen und diese verfremden, um Leute auf sich aufmerksam zu machen. Relativ gewaltfrei geht es darum, die Öffentlichkeit auf bestimmte Probleme wie Gentrifizierung oder die teuren Fahrpreise der Berliner Straßenbahn aufmerksam zu machen.
Bedienen sich umgekehrt auch Terroristen der Literatur? Nutzen sie eine literarische Sprache?
Das ist schwierig zu sagen. Ich habe weniger terroristische Sprache untersucht, sondern mehr die Sprache der über Terrorismus schreibenden Autoren. Daher habe ich mich weniger mit terroristischen Pamphleten oder Communiquées auseinander gesetzt. Aber natürlich ist es so, dass jemand, der über terroristische Attentate berichtet, immer die Waage halten muss, indem er versucht, auch die Opfer zu Wort kommen zu lassen und den Terroristen und ihren vorbereiteten Verlautbarungen nicht zu viel Gehör zu geben.
Was ist dann das Anliegen der von Dir untersuchten Werke?
Aus meiner Sicht wollen Schriftsteller den Terroristen verstehen, quasi als Auftrag für die Allgemeinheit. Sie wollen wissen, warum man diesen letzten Schritt zur Gewalt macht, weshalb man Menschen für seine eigenen politischen Überzeugungen töten will. Oder weshalb ein Mensch bereit ist, dies zu tun und dafür den eigenen Tod in Kauf zu nehmen. Sie fragen, das ist mein Ergebnis, wie Attentäter-Biografien zustande kommen.
Mit Attentäter-Biografien beschäftigen sich aber auch Journalisten ständig.
Das sah man Beispiel bei den Attentaten in Frankreich. Wir betrachten die Terroristen als Außenstehende, als zwar kulturell mitwissende Einzelgänger, die aber außerhalb der Gesellschaft stehen und sich selber auch außerhalb der Gesellschaft positioniert haben. Wir rechtfertigen ihre gewalttätige Biografie, indem wir sagen, diese Menschen hätten sich von uns selber verabschiedet. In der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ist die Attentäter-Figur des sogenannten „homegrown terrorist“, besonders oft behandelt. Das sind dann zumeist Menschen mit Migrationshintergrund, also Leute, die als Migranten nach Deutschland gekommen sind, oder Nachfahren von Migranten sind, die wissen, wie wir ticken, und sich dann radikalisieren; oder deren Hass sich dann gegen die eigene Gesellschaft richtet.
Aber ist der todesmutige Terrorist nicht immer ein literarischer Held?
Durchaus. Aber wird lehnen Morde aus politischer Überzeugung rigoros ab. Diese Art der Äußerung eines Anliegens ist in der Demokratie nicht vorgesehen. Aber natürlich ist der Terrorist ein Held, weil er, und das merkt man immer wieder an der Literatur über diesen Terroristen, weil er diesen letzten Schritt vom Wort zur Tat überschreitet.
Wie sieht es mit dem Anschlag selber aus? Denke ich zum Beispiel an „Rot“ von Uwe Timm, dann findet genau das, was die ganze Zeit erwartet wird, nicht statt.
Bevor ich mit meiner Arbeit anfing, hatte ich erwartet, dass es in der Literatur eine Art Ästhetisierung der Gewalt und des Anschlags und der Explosionen gibt. Denn wenn wir an einen terroristischen Anschlag denken, dann denken wir vielleicht an die Explosion selber, an die schreienden Opfer, an die getöteten Menschen auf der Straße, an das Blut, das sich mit Dreck vermischt, an die zerfetzten Marktstände, an die Autos, an Chaos, an umhergetragene Leichen, an heulende Krankenwagensirenen, an all das denken wir, wenn wir an Terroranschläge denken.
Aber das wird eben in der Gegenwartsliteratur nicht aufgegriffen und es wird kein terroristischer Anschlag ästhetisiert, sondern es geht um eine didaktische Herangehensweise, um eine hermeneutische Herangehensweise.
Das klingt schon sehr umerzieherisch.
Wir wollen wissen, wie der Attentäter, oder die Gegenwartsautoren wollen wissen, wie der Attentäter tickt. Das wird auch immer der Popliteratur zugesprochen, von Bret Easton Ellis aus, dass mit dem terroristischen Akt die Oberfläche gefeiert wird, diese Inszenierung des Terrors. Aber das stimmt für die deutschsprachige Gegenwartsliteratur nicht. Man könnte vielleicht sagen, dass Enno Stahl das tut. In der Groteske „2Pac Amaru Hector“ geht es um eine popkulturelle Inszenierung, aber alles passiert im ironisch-distanzierenden Gestus; Oder in einer Art, die so überspitzt ist, dass wir es nicht als Inszenierung wahrnehmen, sondern als bewusste Distanzierung zu dieser Inszenierung.
Eben diese Inszenierungsstrategien sind wichtig für Ulrike Draesners „Spiele“, mit dem Bild des vermummten Attentäters auf dem Balkon im Olympischen Dorf.
Ich finde interessant, dass Ulrike Draesner mehrere Perspektiven auf die Attentate von München 1972 bei den Olympischen Spielen anbietet. Der Roman ist aus der Sicht der erwachsenen Katja erzählt, die 1972 ein kleines Kind war. Die Terroranschläge sind in ihrer Kindheitserinnerung gespeichert. Aber diese biografische Erfahrung prägt sie ein Leben lang. Einerseits erzählt „Spiele“ die bekannte Geschichte über München noch einmal nach, bietet aber andererseits auch neue, literarische Sichtweisen an. Dazu will „Spiele“ wissen, ob das überhaupt möglich, den Attentäter zu verstehen. Ulrike Draesner schildert eindrücklich, dass man es eben nicht verstehen kann, dass es eine Wahrheit gibt, die man nicht fassen kann. Das wird ganz konkret im Roman gesagt.
Man kann viele Begründungen für München ’72 heranziehen.
Aber keine ist letzterklärend, keine erläutert wie die Terroristen den Anschlag durchführen konnten. Keine erklärt, warum die deutsche Polizei so versagt hat. Es gibt natürlich die Fakten. Aber weil das Attentat eine symbolische Handlung ist, steckt mehr dahinter. Das nährt dann wieder Verschwörungstheorien jener Art, 9/11 sei ein „Inside Job“ gewesen.
Literatur hat hier also wieder einen aufklärerischen Auftrag?
im Journalismus wird täglich über Anschläge im Irak berichtet, oder jetzt allgemein über den IS-Terror. Aber die Menschen dahinter nehmen wir nicht mehr wahr. Darum geht es meiner Meinung nach in der Literatur verstärkt darum, aus Monstern und Gespenstern wieder Menschen zu machen. Mit Biografien, mit Überzeugungen, vielleicht sogar mit irgendwie begründeten Anliegen.
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