Wolfgang Frömberg, früher Literaturredakteur des Kölner Popkulturmagazins “Spex” schreibt in seinem Debüt über einen Literaturredakteur bei einem Kölner Popkulturmagazin, das nicht Spex, sondern “Spucke” heisst.
Zwischen dem ersten “Spucke”-Satz von Seite 7, “Förster schloss die Tür” und dem letzten, 216 Seiten später, der da heisst “Und sie traten hinaus ins Freie” ist man hoffnungslos eingesperrt in einer absolut wirren Welt. Vermutlich werden Nicht-Spex-Leser bis zum Ende dieses klaustrophobische Zittern verspüren, weil “Spucke” einen hippen Kosmos beschreibt, der aus so vielen Zitaten, Anspielungen, Verweisen, Nerd-Klatsch und Hipster-Slogans besteht, dass man sich hier und die wie auf der falschen Party fühlt: Wohin man sich also wendet, überall reden kluge, wichtige Menschen über kluge, wichtige Romane, Platten und Traktate und wenn dann doch mal ein allgemein bekannter Name auftaucht, man “kenne ich”, schreien will, kommt auch schon der nächste um die Ecke. Ist das schlimm? Nein. Oder langweilig? Keineswegs.
Wolfgang Frömberg erzählt in seinem Debütroman vom Popjournalisten Förster, der für ein Popkulturmagazin hauptsächlich über Popliteratur schreibt, mit seinem Tonbandgerät durch die Welt hechtet, um Interviewtöne von Bret Easton Ellis (”American Psycho”) den singenden Dichtern Blumfeld oder Suhrkamp-Autor Marcel Beyer (”Flughunde”) einzusammeln. Währenddessen denkt er nach, über MIA und das neue Nationalgefühl, über Adorno und warum der seine Feststellung, nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben, später widerufen hat und was man von Diedrich Diederichsen halten soll, der im “Spucke”-Essay “The Kids Are Not Allright” über Asylbewerberheime abfackelnde Nazis mit Malcolm-X-Kappen schrieb.
Schon schwindelig? Das soll so sein. Die ganze Zeit dreht sich irgendetwas bei Wolfgang Frömberg, nicht nur das Tonband oder die Club-Schallplatte, sondern auch der Diskurs, in dem das Wort “drehen” selbstverständlich enthalten ist. Und wie bei einer Dampfmaschine, die ohne Wasser stehenbleiben würde, braucht auch die Diskursmaschine die ganze Zeit neuen Stoff, um ihr Schwungrad anzutreiben. Deshalb hat Förster panische Angst vor leeren Batterien im Aufnahmegerät, denn dann können die Worte nicht aufgenommen und abgeschrieben und verbreitet und neu besprochen werden, dann steht die “Spucke”-Welt still. Als es dann einmal doch passiert und der begleitende Fotograf losgeschickt wird, neue Batterien zu kaufen, wird auch nicht geredet. Förster und sein Interviewpartner rauchen stattdessen einen fetten Joint.
„Spucke” muss schnell und laut gelesen werden. Denn dann bekommen die hektischen Aneinanderreihungen genau den Druck und die Geschwindigkeit, die entsteht, wenn Luft durch schnelles, lautes Sprechen in Schwingung gerät. Wie leicht wäre es zu sagen, dass man nicht eingesperrt sein will im Redaktions- und Lebensalltag eines
Journalisten, der in diesem Roman nicht einmal eine wirkliche Entwicklung durchmacht oder etwas erreichen will, sondern neinfach nur lebt – und wir schauen zu. Muss man also ein “Spex”-Leser sein, um zu verstehen, was in dieser Welt vor sich geht, die sich ungemütlich an alte “Spex”-Geschichten anlehnt, die so etwas wie ihr Archiv sein will? Es hilft, vielleicht. Aber man kann “Spucke” auch als Einstieg in eine ganz besondere Art zu Denken lesen, sich ein paar der vorkommenden Bücher und Platten merken und langsam reinrutschen, in diesen geschlossenen, auf den ersten Blick lebensfeindlichen Raum. Irgendwann hört man ganz bestimmt auf zu zittern und zu frieren und dann leuchten die Augen, dann wird‘s warm. Versprochen.
Wolfgang Frömberg: „Spucke“, Hablizel, 224 Seiten, 14,90 Euro