„Es gibt schon wieder Stress“ – so vermeldete es die feministische Autorin und Kolumnistin Margarete Stokowski vorgestern auf ihrer Facebook-Seite. Aktuell ist eine Diskussion entstanden, die verschiedene Bereiche der Literaturszene berühren, nachdem Stokowski eine bereits ausverkaufte Lesung abgesagt hat – und zwar in München bei der Buchhandlung Lehmkuhl. Der Grund, den nicht Stokowski, sondern der Geschäftsführer von Lehmkuhl öffentlich kommuniziert hat ist diskutabel. Die Autorin hat in einer E-Mail ihre Absage damit begründet, dass Lehmkuhl rechtsextreme Bücher vorrätig hält. Die sich klar links positionierende Buchhandlung wiederum betont, man müsste das Denken der Rechten kennen, um deren Diskurs angreifen zu können. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung fiel nun der Satz, eine Buchhandlung sei nicht in der Position, gesellschaftliche Gruppen auf- oder abzuwerten. Ein Kommentar.
„Buchhandlungen sind die geistigen Tankstellen der Nation.“ Dieser Satz stammt vom ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Es ist ein Satz, der nicht nur die Sicht von außen, sondern auch das Selbstverständnis der Buchhandlungen unseres Landes aufgreift. Es ist ein Satz, der seit Jahren zitiert wird vom Börsenverein, um die Bedeutung dieser besonderen Verkaufsstellen zu untermauern.
„Buchhandlungen sind die geistigen Tankstellen der Nation.“ Diesem Satz steht seit heute ein anderer gegenüber, den Michael Lemling, Geschäftsführer der Münchner Buchhandlung Lehmkuhl im Interview mit der Süddeutschen Zeitung geäußert hat. Er lautet: „Aber erstens sind wir bei Lehmkuhl nicht in der Position, gesellschaftliche Gruppen auf- oder abzuwerten.“
Dieser Satz wiederum ist falsch und wird von Lemling selbst konterkariert, wenn er im gleichen Interview betont, die Debatten der Buchmessen seien in den Buchhandlungen angekommen, wenn er selbst betont, Buchhandlungen sollten Orte für Debatten sein. Das waren Buchhandlungen übrigens seit jeher: Orte, an denen über Texte gesprochen wurde. Gleichzeitig setzen auch Buchhandlungen mit ihrem Warenangebot ein Statement. Keine Buchhandlung hält alle lieferbaren Druckwerke der Bundesrepublik vorrätig. Es gibt immer die Entscheidung für ein sogenanntes Sortiment. Margarete Stokowski hat sich nur klar positioniert, weil sie nicht in Zusammenhang mit dem Sortiment der Münchner Buchhandlung Lehmkuhl gebracht werden möchte. Diese Positionierung steht ihr zu.
In ihrem vorgestern veröffentlichten Stellungnahme zitiert Stokowski auf einer von ihr an Lehmkuhl verfassten E-Mail, wenn sie schreibt: „Ich weiß, es ist nicht leicht und oft ganz unmöglich, Grenzen zu ziehen, wer jetzt zu ‹Rechts› gehört und wer nicht. Die Nazis mögen Carl Schmitt, sie mögen Wagner und Nietzsche und so weiter, und man muss das alles dennoch nicht gleich aussortieren, nur weil es in rechten Kreisen beliebt ist.“ Stokowski formuliert aber auch ihr Unbehagen. Sie hält es nicht für falsch, rechte Bücher auf Nachfrage zu verkaufen – doch ihnen Ausstellungsfläche zu geben, hält sie für unredlich.
Was Stokowski hier zeigt, ist eine differenzierte und selbstverständlich auch diskutable Haltung zum Umgang mit den Schriftzeugnissen der Neuen Rechten. Keinesfalls kann man aus dem Statement heraus- oder in es hineinlesen, dass sie beispielsweise „Bücher verbrennen“ wollte – wie es ihr gerade in zwei dokumentierten Tweets bei Twitter unterstellt wird. Falsch liegt Michael Lemling von der Münchner Buchhandlung Lehmkuhl – dem man natürlich kein Appeasement gegenüber den Neuen Rechten unterstellen sollte. Aber seine im Interview mit der Süddeutschen Zeitung geäußerte Vermutung, dass seine Buchhandlung nicht in der Position sei, gesellschaftliche Gruppen auf- oder abzuwerten ist schlichtweg naiv.
Die politischen Verwerfungen und Debatten der vergangenen Jahre haben bewiesen, dass nicht nur Politiker und Journalisten eine Diskursmacht besitzen, sondern auch Twitter-Nutzer, Facebook-Mitglieder und selbstverständlich auch Buchhandlungen. Diskursmacht besitzt, wer im öffentlichen Raum spricht, natürlich auch, wenn dieser öffentliche Raum eine „geistige Tankstelle der Nation ist.“ Margarete Stokowski hat eine Lesung abgesagt und öffentlich dazu Stellung bezogen. Die Buchhandlung Lehmkuhl hat sich nicht versteckt und debattiert weiter. Somit wird diese Debatte auf vornehmste Weise genutzt, um gemeinsam darüber zu sprechen, wie wir umgehen sollten mit den Schriften der Neuen Rechten. Es ist ein bemerkenswerter Anfang – der fortgeführt werden sollte.