Der Amerikaner John Wray hat mit “Retter der Welt” eines der besten Bücher des Jahres geschrieben. Held ist der 16-jährige Lowboy, ein paranoid schizophrener Schüler, der vor zwei Jahren seine Freundin auf die U-Bahn-Gleise geschubst haben soll. Nach seiner Flucht aus der Irrenanstalt irrt der Junge durch die U-Bahn-Schächte New Yorks.
John Wray gehört zu den interessantesten Schriftstellern unserer Zeit. 1971 wurde der Sohn einer Österreicherin und eines Kaliforniers in Washington geboren. Er wuchs zweisprachig in den USA und Europa auf, er schreibt gewaltige Romane über den Anschluss Österreichs 1938, über den Amerikanischen Bürgerkrieg – und jetzt auch über Wahnsinn, Terror, den Klimawandel. Beim Hamburger Literaturfestival “Harbour Front” erklärte John Warm vor wenigen Tagen, weshalb Held und Thema von “Retter der Welt” so viel jünger daherkommen; ihm sei aufgefallen, dass seine Lesungen vornehmlich von älteren Menschen besucht wurden. Dies hätte zur Folge, dass er mit 45 vor einem 90-jährigen Publikum sitzen würde, das aus demographischen Gründen schon bald nicht mehr zu seinen Fans gehören könnte. Deshalb darf nun der Wahnsinn in Form eines 16-Jährigen in sein Werk einziehen.
Lowboys Freundin ist bei dem als “Unfall” deklarierten U-Bahn-Sturz vor zwei Jahren nichts passiert. Doch der Junge wurde in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Aus dieser bricht er aus, irrt ohne Medikamente durchs U-Bahnnetz von New York, in tiefer Dunkelheit, in der untergründigen Stadt, während seine nervöse Mum oben, im Tageslicht, ihren Lowboy sucht. Sie wird unterstützt vom islamischen Profiler Ali Lateef, der allerdings zu spät entdecken wird, wer ihn hier an der Nase herumführt. Bis es soweit kommt, will Lowboy, der selbsternannte “Retter der Welt”, ausgerechnet den Klimawandel stoppen, indem er geheime Botschaften befolgt, die schubweise sein kleines Teenagerhirn fluten. Ein Wettlauf zwischen der mütterlich-warmen Welt des Tageslichts und der kalten-vaterlosen Welt der ewigen U-Bahn-Nacht entwickelt sich zu einer mystischen Reise zu den verdrängten Ängsten Amerikas. Im Interview spricht John über Paul Auster, das Faulsein, über New York und David Bowie – auf Deutsch, mit einem hinreissenden österreichisch-amerikanischen Akzent.
Ist “Retter der Welt” ein Buch über die verborgenen Ängste in Amerika? Es geht um den Islam, um Homosexualität, um Klimawandel… Teilweise schon, würde ich sagen. Ich bin sicherlich nicht der erste Mensch, der die U-Bahn oder überhaupt die Unterwelt einer Stadt als Symbol für das allgemeine Unterbewusstsein nimmt. Für mich war die U-Bahn und die untergründige Stadt überhaupt, wenn man das so bezeichnen kann, sehr nutzvoll als Ambiente in der man eben viele verborgene Sachen beschreiben kann, um verschiedene Sachen aus mir herauszubringen, die vielleicht nicht zu Tageslicht passen.
Welche Sachen sind das? Es steckt schon sehr viel von mir in der Figur dieses Lowboys. Gott sei Dank bin ich nicht schizophren und …. paranoid, na ja das hängt davon ab wen man fragt, würde ich sagen.
“Retter der Welt” erinnert an Paul Austers New York Trilogie, weil auch dort die Stadt mit hintergründigen Zeichen besetzt ist. Das stimmt auch. Ich schätze die frühen Bücher des Paul Austers sehr. Er wohnt nur ein paar Straßen von mir entfernt in Brooklyn. Ich würde eigentlich sagen, dass mein Held überall Zeichen sieht, erstens weil er eben schizophren ist. Aber auch weil ich, wie vielleicht alle Schriftsteller, immer nach Zeichen suche.
“Retter der Welt” erzählt vom Klimawandel. Bist du privat engagiert, bei Greenpeace beispielsweise? Ich bin schon Mitglied bei allen möglichen Sachen, aber wirklich aktiv bin ich irgendwie nicht. Ich bin eigentlich im Grunde genommen ein ziemlich fauler Mensch. Ich würde sehr gerne natürlich über dem Schreiben hinaus etwas Wertvolles machen können. Ich hab auch nicht sehr viele Talente. Ich muss mich eigentlich wenigstens in nächster Zeit aufs Schreiben konzentrieren, glaube ich…
Spürst du beim Schreiben deine österreichischen Wurzeln? Ich bin kein Österreicher. Ich bin aber auch kein richtiger Amerikaner, sondern irgendein Zwischending. Was manchmal ganz lustig, aber auch frustrierend sein kann natürlich. Wenn ich in den Staaten bin, sehne ich mich oft nach Österreich. Aber auch umgekehrt. Es ist ziemlich eigenartig, andererseits aber auch ziemlich gut für meine Arbeit ist. Ich glaube, es hat sich vielleicht eine gewisse Perspektive früher entwickelt bei mir, weil ich eben zwei Pässe gehabt habe und immer von Verwandten im einen Land gehört habe, was alles daneben ist im anderen Land. Das ist mir ziemlich lang so ergangen. Und man fühlt sich dann so ein bisschen verwirrt als Kind. Inzwischen fühle ich mich in beiden Ländern mehr oder weniger wohl, wenn auch nicht zu 100 Prozent.
Wie war das damals? Wie bist du von dem einen Land zum anderen gereist? Von Österreich nach Amerika? Ich bin in den Staaten geboren und es war aber immer für meine Mutter sehr wichtig, dass ich doch eine gewisse Beziehung zu Österreich habe. Ihre Mutter, also meine Oma war immer sechs Monate pro Jahr bei uns in den Staaten und bei uns zuhause ist hauptsächlich Deutsch gesprochen worden. Im Sommer, war ich dann in Kärnten in Österreich, eben bei meiner Oma. Später habe ich dann in Wien studiert.
Was hast du studiert? (lacht) Ich muss zugeben: Ich habe Anglistik studiert in der Universität Wien, ganz einfach. Wie soll ich das sagen – mir war meine akademische Entwicklung nicht unbedingt das Wichtigste zu der Zeit. Ich habe mir das einfachste Studium ausgesucht, damit ich möglichst viel Freizeit haben könnte, um Wien zu erforschen.
Was machst du jetzt in deiner Freizeit, wenn du an keinem Roman arbeitest? Ab und zu schreibe ich einen Artikel, aber die taugen nicht besonders viel. Mir ist ziemlich klar, jetzt zur Zeit, dass ich eine Begabung habe und das ist das Schreiben von Romanen. Vielleicht werde ich irgendwann einmal eine zweite Aufgabe entdecken. Ich bin zum Beispiel ein ziemlich guter Karaoke-Sänger, aber das bringt leider ziemlich wenig Geld hinein.
Wo und was singst du? Na ja ab und zu gehe ich mit meiner Freundin in irgendwelche Karaoke-Bars. Ich bin da eigentlich ziemlich flexibel in dem Bereich, aber wenn ich eine Spezialität aussuchen müsste, dann würde ich wahrscheinlich sagen: Die frühe Karriere des David Bowie kann ich ziemlich gut wiedergeben.
John Wray: “Retter der Welt”, übersetzt von Peter Knecht, Rowohlt, 352 Seiten, 19,90 Euro