Am heutigen Dienstag erscheint „The magic border“, der erste Lyrikband der 23-jährigen Singer-Songwriterin Arlo Parks in deutscher Übersetzung – jüngst erschienen sind „Einige Gedichte“ des 57 Jahre älteren Wolf Wondratschek. Die Titel im Lyrikgespräch mit Maren Jäger und Alexandru Bulucz.
2019 besang Arlo Parks ihre „Super Sad Generation“ und etablierte sich seitdem als „Gen Z“-Stimmen, inspiriert von viel älteren Vorbildern wie Sylvia Plath, James Baldwin, Ezra Pound. Nach dem zweiten Album „My Soft Machine“ im Frühjahr erscheinen nun die Lyrics nebst 20 weiterer „Gedichte und Fragmente“, die „Kontrolle als Illusion“ beschreiben und dabei einen rohen Blick auf die Gegenwart werfen. Die Bevölkerungs-, Klima-, Corona-, Brexitkrise werden nicht explizit thematisiert, doch fällt ein Wunsch nach Ruhe und Zu-sich-Kommen auf. Anders als die 15 Jahre ältere Kae Tempest, die vorherige Lyrikstimme wiederum ihrer Generation, arbeitet Parks weniger mit Anleihen aus dem Fundus der Kulturgeschichte, auch ist bei ihr „LGBTQIA+“ kein Ort, der erkämpft werden muss, sondern selbstverständliche Farbe eines psychologisch informierten, die Empfindsamkeit akzeptierenden Lifestyles – ganz anders beleuchtet als bspw. die Neon-Coolness der Achtziger. „hier bin ich wieder, / obwohl ich es will, weine ich nicht / du hast mich ruiniert / vollkommen / Ich habe Grenzen Ich habe Grenzen Ich habe Grenzen“.
Akzeptanz ist großes Thema dieser in der Form losen, eher in den Metaphern gestalteten, wie rasch notierten Lyrik: „Ich wünschte, ich wäre unversehrt / Fast alle, die ich liebe, wurden missbraucht / ich auch“. Pop als ozeanisch gefühlte Traumaarbeit. Im vorangestellten Statement verrät Arlo Parks: „Beim Schreiben von Lyrik geht es für mich um tiefe Innerlichkeit. Es geht darum, im Salzwasser des eigenen Körpers zu waten, wenn die Kapillare platzen, die Augen überquellen und man nicht mehr verankert ist. (…) Diese Sammlung ist die Frucht dieser inneren Erkundung. Ein Wirrwarr aus allem, was mich wütend oder schwindelig oder niedergeschlagen oder unendlich glücklich gemacht hat, am Leben zu sein.“ Dieses Wirrwarr aus MDMA-Bomben, Retterinstinkten, Familientherapie, selbstverletzende Verhaltensweisen bleibt ungeordnet – ratlos auf jener magischen Grenze tänzelnd, die den Band betitelt. Arlo Parks: „The magic border. Die magische Grenze”, aus dem Englischen von Amanda Mukasoga, mit Fotografien von Daniyel Lowden, Ullstein, 160 Seiten, 18 Euro
Einige Gedichte
„Die Show ist restlos ausverkauft / Die toten Typen tanzen Rock ’n’ Roll / 2001 steht an der Wand in Kreide / Ein Raumschiff wird in Elvis umgetauft“ schrieb Wolf Wondratschek 1974 in seinem Lyrikdebüt „Chucks Zimmer“ (über 100.000 Expl. hat er seinerzeit verkauft). Beinahe 50 Jahre später klingen seine Verse melancholischer: „Mehr als mein Leben / werde ich den Wind vermissen, / der den Klang deiner roten Schuhe / von der anderen Hälfte unserer Erde / hierher trägt, um keinen Ton leiser / als Geschrei auf einem Spielplatz“. Mit der sprachlichen Kraft früherer Bände wagt Wondratschek leisere Betrachtungen vielerlei Enden. Mittig des Bandes steht ein mehrseitiges Kaddisch an den verstorbenen Bruder, darin die Ahnung des eigenen Endes: „Seit heute liegt auf meinem Tisch noch eine Nachricht, / der radiologische Befund des Instituts für Bildgebende / Diagnostik mit meine Gesundheit betreffenden beunruhi- / genden Auskünften. Unter anderem steht da: Sklerose der / Aorta thoracica. / Ob es hilft, nachts das Licht brennen zu lassen?“
Die einstige Un-Ruhe ist geblieben, aus anderen Gründen. Hier schreibt jemand im Bewusstsein langsamen Vergehens: vom verebbenden Klang roter Schuhe, vom antiquierten Blick auf die Geschlechter. Aus der Zeit gefallen wirken die Männer- und Frauenbilder dieses Bandes. Der Bruder wird zitiert: „Man kann sich, sagte er, Erfolg nicht nehmen wie eine Frau. / Donnerwetter! Das hat er gesagt?“ Gedichte als Archiv des Nicht-Aktuellen (beginnend beim Wort „Donnerwetter“), noch einmal Stücke, die Wondratschek für seinen längst erwachsenen Sohn Raoul als Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk geschrieben hat (liebevoll verkleinert Raoulito genannt), letzte Ratschläge und ein genau beobachtetes Gefühl von Müdigkeit, ein „In den Schlaf schlafen, / mit dem leichten Körper / eines Glücklichen“. Wolf Wondratscheck: „Einige Gedichte“, Ullstein, 80 Seiten, 18 Euro
Das Dlf-Lyrikgespräch über Arlo Parks und Wolf Wondratschek vom 19. September 2023 kann hier nachgehört werden.