Trauer, Wut und Depersonalisation bei der Slowenin Ana Pepelnik treffen im aktuellen Lyrikgespräch auf Jan Wagners avancierte „krähenghasele“, auf nagende Wespen und Hölderlins Quitte. – Eine Aufzeichnung von der Frankfurter Buchmesse mit Beate Tröger und Alexandru Bulucz.
Neben Sylvia Plath, Ilse Aichinger und Bertolt Brecht hat Ana Pepelnik auch Daniel Kehlmann ins Slowenische übersetzt – nur dürfte Letzterer kaum Inspiration für ihre Lyrik sein, denn was jetzt im Kölner Verlag „parasitenpresse“ erscheint, ist kein Blockbuster, sondern eher innerliche Hinwendung zum Psychologischen, zu Manie, Melancholie und Selbstzweifeln. „Am traurigsten auf der Welt“, eröffnet diese Sammlung, den Mollton setzend. Kompiliert werden Gedichte aus Pepelniks Bänden „tehno“ („techno“) von 2018 und „treš“ („müll“) von 2021. Die sofort angestimmte Traurigkeit liegt auch begründet im Tod des Familienfreundes David Šalamun, dem Sohn des großen slowenischen Dichters Tomaž Šalamun – er starb 2015 im österreichischen Graz: „an dieser stelle ist schmerz kein angemessenes / wort. die leere. nein. das loch. ja das loch“. Um dieses Loch kreist „nicht fisch“, um den permanenten Wechsel zwischen Trauer, Wut und Depersonalisation: Verkehrsunfälle werden geschildert und todbringende Meteoritenschauer – wie eine Gegenvision zum Sterntaler-Märchen: „ich zog mich zurück zu dem brennenden jungen / der direkt auf mich zu rannte und traf ein / achtjähriges mädchen mit funken im haar“. Kontraste zur Gottesklage und Verzweiflung, zur Depression, die einhergeht mit einer Sehnsucht nach Ekstase: „und wenn techno schlägt schlägt auch / mein herz“, heißt es in einem langen Erinnerungs- und Verarbeitungsgedicht, gefolgt von einem anderen, das mit „Louder than bombs“ überschrieben ist, wiederum von Verzweiflung berichtet, und vom Neid gegenüber jenen, die schöner, aufregender, interessanter sind. Das lyrische Ich malt sich daraufhin ein Semikolon aufs Handgelenk – Symbol des Weiterlebens nach einem fehlgeschlagenen Suizid. So schöpft „nicht fisch“ seine Bilder aus der eigenen Gefühlswelt, dieses Ich will nicht schreiben „über Theseus Helena Elektra / Sisyphos weil ich nicht / dabei war oder nicht / genug weiß.“ Autofiktion und Depression, Pop und Mythos treffen in diesem ereignisreichen Band aufeinander. Ana Pepelnik: „nicht fisch“, aus dem Slowenischen von Amalija Maček und Matthias Göritz, sowie Adrian Kasnitz und Thomas Podhostnik, parasitenpresse, 58 Seiten, 12 Euro
In lyrische Nerdbereiche begibt sich „Steine & Erden“ des Büchnerpreisträgers Jan Wagner – wieder mit ungewöhnlichen Formen spielend, wie der Ghasele, die in vorislamischer Zeit auf der Arabischen Halbinsel entstanden ist und deren manieristische Struktur bereits im Fin de siècle aufgegriffen wurde, etwa von Hugo von Hofmannsthal. Sie ist bestimmt durch ein Reimschema, das mit Wiederholungen arbeitet: „seit dem tod des freundes sah er krähen, / wohin er sah. / schon vorher waren krähen / geschehen, aber nicht wie jetzt – sobald er / heraustrat aus der kirche, saßen krähen“. Vom Gewöhnlichen (Krähen, Reifen, Wespen) schrauben sich diese Gedichte Vers für Vers weiter ins Artistische hinauf. Dem Band vorangestellt ist ein Motto des französischen Dichters Francis Ponge, der sich ebenfalls auf eine spezifische Weise den Dingen genähert, ihnen Leben eingehaucht hat, wie in seinem lustigen Vers über die Seife: „Wenn ich mir die Hände damit einreibe, schäumt die Seife, jubelt sie.“ Bei Wagner werden selbst die gewöhnlichen Karotten zu erstaunlichen Erscheinungen, werden so – ähnlich wie Ponges Seife – lebendig: „karotten: wie von einem corbusier / entworfen, ohne grobheit, niemals plump / und prahlerisch wie all die kürbisse, / die jedes feld beherrschen, jeden grund“. Doppel- bis dreifach-, vierfachdeutig sind diese Gedichte. Werden die „Reifen“ des Autos beschrieben, kann das „Heranreifen“ mitgedacht werden. Die Laute der Krähen sind gleichsam ein „Krähen“ und werden dann zum österreichischen Meerrettich, zum „Kren“. Der Blick nach unten zu den besagten Steinen und Erden, zu den Karotten und Kürbissen wird immer wieder gewendet, in die Vergangenheit („hölderlins quitten“),den Himmel (auch mit der berühmt gewordenen Himmelsscheibe von Nebra), in die Lyrikgeschichte bis zur politischen Gegenwart, endend mit den poetischen Zeilen: „im rückspiegel dasselbe schild, / das nach wie vor im himmel hängt, / vielmehr dort thront, wer wir auch sind, / was immer wir waren, was wir werden / (steine & erden, steine & erden)“. Jan Wagner: „Steine & Erden“, Hanser Berlin, 112 Seiten, 22 Euro