Stefan Weidner führt mit seinem „Arabischen Diwan“ in die Zeit des Vorislams. Den Zusammenhang von Schöpfung und Erschöpfung untersucht hingegen Monika Rinck in „Höllenfahrt und Entenstaat“. Das Lyrikgespräch im Dlf-Büchermarkt mit Maren Jäger und Christian Metz.
Der Islamwissenschaftler, Schriftsteller und Übersetzter Stefan Weidner kompiliert die schönsten Gedichte vorislamischer Zeit. Sein „Arabischer Diwan“ erscheint in der Anderen Bibliothek, die vor 40 Jahren, im Januar 1985, von Hans Magnus Enzensberger begründet wurde. Der Diwan – hier im ursprünglichen Sinne als Archiv, als Textsammlung (nicht als Möbelstück) gemeint – ist die größte deutschsprachige Sammlung seit Friedrich Rückert im Jahr 1846 seine Übertragung der „ältesten arabischen Volkslieder“ publizierte. Es ist auch ein Wiedersehen mit bekannten Figuren und Erzählungen, wie den anrührend Liebenden Laila und Madschnûn: „Ach, wären wir doch ein Gazellenpaar, / um auf saftiger Weide zu grasen / ganz allein in der Steppe. // Ach, wären wir doch ein Taubenpaar, / um abends durch die Wüste / ins schützende Nest zu fliegen.“ Umfangreiche Essays leiten die einzelnen Abteilungen ein. Gezeigt wird, dass sich über die Literatur die arabische Welt verstehen lässt. Länder wie Saudi-Arabien stärken vorislamische Kultur im Allgemeinen, die (weltliche) Literatur im Besonderen, siehe die verschiedenen, sechsstellig dotierten Literatur- und Übersetzerpreise. „Die Dichtung, nicht die Religion, liefert die Geschichten, welche die heutigen Konflikte in der arabischen Welt lesbar machen“, schreibt Weidner. Die Literatur, die vor Mohammed entstanden ist, unterstützt säkulare Bestrebungen. Gleichzeitig rücken die Gedichte aufgrund ihrer besonderen Übersetzung näher an unsere Zeit. Die Nachdichtungen sind keineswegs historisierend, sondern stattdessen Handreichungen für Leserinnen nserer Zeit. Politisch interessant, poetisch überraschend, bibliophil gestaltet, ein großer Glücksgriff dieses Bücherwinters. Stefan Weidner (Herausgabe, Übersetzung), Katrin Schacke (Design): „Der arabische Diwan: Die schönsten Gedichte aus vorislamischer Zeit“, Die andere Bibliothek, 420 Seiten, 48 Euro
Beschleunigte Zylinderkopfdichtung
Dante und Donald Duck, Kraftwerks „Autobahn“ und das Orakel von Delphi kommen in Monika Rincks neuem Band zusammen. Über das „Entenorakel“ sprach sie bereits zu Pandemiezeiten in ihrer Frankfurter Poetikvorlesung. Jetzt eröffnet ihre „Höllenfahrt“ mit jener Post-Corona-Erschöpfung, die unsere Gesellschaft seit langer Zeit lähmt: „O Müder, schau auf das Laub, das sich gar nicht bewegt. / Kein einziges Blättchen im Wind, das sich regt, Zacken / absolut starr. Wo das Blatt einmal war, die Luft begann, / ein letzter gezackter Gedanke am Übergang, Stacheln, / etwas, das nicht mehr ausweichen kann, Laubbüschel / in anhaltender Starre, unausweichlich am Ende, beendet.“ Das klingt nach römischer Grabinschrift und „Wandrers Nachtlied“ von Goethe, dem großen Reisenden, der 2025 vermutlich im Porsche gen Italien eilen würde. Ein Lob der Akzeleration steckt in Rincks Zeilen. Aus Amtsblättern über beschleunigte Straßenprojekte entstehen Mashups, lyrische Ready-Mades: „Öffnet die Saat, streuet sie aus! Es möge erblühen: das Autobahnkreuz Weinsberg – Landesgrenze Bayern/Baden-Württemberg. Doch blühe es erst, wenn ich komme, ich eile! Mach es breit, das Ding, hoch und weit. O ihr Blüten! O süffiger Schankwein! O Schankloch für die regelmäßigen kultischen Libationen in dein einsames Grab, gießt! Gießt eifrig! Ich befeuchte dir deinen Sarg, denn er darf nie, er darf nicht, er darf niemals trocken sein.“ Hier ist die Dialektik von (Wert-)Schöpfung und Erschöpfung spürbar, von Rasanz und notwendiger Rast. Man kann unweigerlich fragen: wie viel Paul Virilio steckt in diesen Zeilen, wie viel Christian-Lindner-Autokult oder auch von Markus’ ikonischem NDW-Hit mit den schönen Zeilen: „Ich will Spaß, ich will Spaß / Ich geb Gas, ich geb Gas“? Zylinderkopfdichtung mit dreifach gewachstem Unterboden, Lyrik der Überfülle, quasi das Gegenprogramm zur Minimal Art (siehe „Farbleib“ von Saskia Warzecha), komplexer als ein Schiffmotor von MAN und dennoch pfeilschnell wie ein Formel 1-Bolide der frühen 2000er Jahre. Monika Rinck: „Höllenfahrt und Entenstaat“, kookbooks, 100 Seiten, 24 Euro