Wie altert man würdig im Pop? Das ist eines von etlichen großen Themen dieses Kriminalromans. In „Mandels Büro“ von Berni Mayer versuchen sich zwei abgehalfterte Musikjournalisten als New-Media-Detektive. Kann das gutgehen?
Eine der verrücktesten Popromane der vergangenen Jahre beginnt überraschender Weise mit einer klassischen Krimiszene: Da sitzen die beiden abgehalfterten Privatdetektive Max Mandel und Sigi Singer in ihrem Ermittlerbüro, als die Tür aufgeht und eine ätherische Schönheit mit Problemen hereinschneit. Unzählige Krimis beginnen genau so. Doch im Debüt von Berni Mayer sind die Schlapphüte keine nach Rasierwasser riechenden Whiskeygrantel, sondern fidele, waschechte Rock’n’Roll- bzw. „New Media“-Detektive, die bis vor Kurzem noch im überhitzten Musikbusiness ihr Unwesen trieben. „Mandels Büro“ ist bereits wegen seines Autors im Gespräch. Berni Mayer aus Bayern war Chefredakteur bei MTV und Viva Online. Er produzierte mit (Markus) „Kavka vs. The Web“, und schrieb dann mit an Kavkas Dorfroman „Rottenegg“. Er spielt in der Heavy-Metal-Band „The Gebruder Grim“ – wie passend, denn vor 200 Jahren sind die Hausmärchen der Brüder Grimm erstmals erschienen. Außerdem ist der Mann passionierter Bundesliga-Blogger.
Es gibt also eine Menge zu erzählen. Von plötzlicher Arbeitslosigkeit überrascht übernahmen seine schelmenhaften Helden die Detektei vom verstorbenen Onkel Hans und hoffen auf eine pralle Kundenkartei – die es tatsächlich nicht gibt. Die Schönheit, vielfach betrogene Gattin eines alternden Punkrüpels, ist somit ihr aktueller Rettungsanker. Die betörende Jungschauspielerin Veronika Mallek – stellen wir sie uns kurz als Centerfold vor – möchte sich vom Gatten Leo Tilmann trennen. Der ist eine Mischung aus Torsun von Egotronic und BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken, eine kölsche Version von Campino also. Im Roman wird er als Alt-Punk mit Gothic-Fans verkauft, als gefallener Alt-Star, vor dem man nur fliehen will. Oder mit den Worten seiner Noch-Gattin: „Ich will eine Familie. Und ich will raus aus der Bildzeitung.“ Allerdings erst, wenn Max und Sigi den Leo in flagranti mit einer Anderen erwischt haben.
Das klingt nach einem klassischen Sonntagabend-Krimi-Plot. Zum überdrehten, an Markus Kavka, MTV und Trash Metal erinnernden Spaß wird „Mandels Büro“ durch zusammengeklaubte Verzierungen. So steht Veronika als Adolf Hitlers Liebchen Eva Braun vor der Kamera. Das bringt ihr Sympathie aus der braunen Ecke, was Leo Tilmann, bekennender Linksrocker, keinesfalls gutheißen kann. Schauplatz Nummer eins ist hiermit eröffnet. Weshalb Max und Sigi Undercover eintauchen in die gerade erst zurückgelassene Welt der großspurigen A&R-Manager, der nervösen Popjournalisten, der gazellenhalsigen Schauspielsternchen – um ziemlich schnell in einer schmutzige Popintrige zu geraten.
Schauplatz zwei: Leo wird ermordet und im Schlagzeugkoffer entdeckt, weder fein noch säuberlich, dafür gründlich mit einer Axt zerteilt. Verdächtigt sind Gattin, Manager, Anwälte, Bandkollegen, und man erinnert sich immer wieder an den ersten Satz des Buchs: „Als ob man einen Vorhang aufzieht“, steht da. Es ist ein Riesentheater, auf jeder Seite. Dann folgt ein weiterer Mord. „Man hat erst den Leo umgebracht, dann hat jemand mein Auto angezündet, und jetzt ist der Edelstein tot. Das kann doch nicht mit den Songs zu tun haben, oder?“ In diesem Satz steckt Schauplatz Nummer drei. Leo wollte nämlich ein antifaschistisches Protestfolk-Soloalbum veröffentlichen, das ungefähr so klingt wie „Gisbert zu Knyphausen, falls ihr das kennt.“ Dass das nicht nur gegenüber der Band, sondern generell eine schlechte Idee ist, weiß Mandel zu kommentieren: „Wusstest du, dass Johnny Cash in den Sechzigern mal ein Konzeptalbum für die Indianerbewegung aufgenommen hat? Hat keine Sau gekauft, die Platte.“
Trotzdem gibt es Eifersüchteleien und die große Suche nach den letzten Aufnahmen des Verblichenen – die etliche Leute in klingendes Geld verwandeln wollen. Bei toten Musikern lässt sich jeder Anrufbeantwortertext noch vertonen und als „Rare-Version“ verscherbeln. Warum sollte das nicht auch mit Leos Folkexperiment gelingen? Das wissen Max und Sigi. Das weiß aber vor allem ihr Autor Berni Mayer, der mit „Mandels Büro“ eine Krimireihe eröffnet, die oft an einen Geschichte von „Kir Royal“-Regisseur Helmuth Dietl erinnert und mit ganz viel Musikinsiderwissen punktet. Von der Yoko-Ono-Witwe über den „Erfolgsmanager“ im Krankenhausbett bis zum philosophierenden Heavy-Metal-Detektiv ist das Personal aus allen Gesellschaftsecken zusammengesucht und niemals banal. Dazu kommen wunderbare Erkenntnisse der Art: „Schauspieler in historischen Rollen verwechseln sich hin und wieder mit Intellektuellen.“ Es gibt viele Comedy-Dialoge, und weil das Ganze aus der Sicht von Sigi verfasst wird, kann Mandel schön verzerrt dargestellt werden. Das Buch hat „Schmäh“ und Schnelligkeit, Ideen und Individuen, die unverwechselbar gezeichnet sind. Geht gut.
Berni Mayer: „Mandels Büro“, Heyne, 336 Seiten, 8,99 Euro