Am 14. Februar ist Valentinstag – und entgegen der konsumkritischen Meinung aller Antifloristen ist dieses Datum seit Jahrtausenden als Liebesfeier gebucht. Denn: „Es ist auch möglich, dass die Festlegung des Gedenktages auf den 14. Februar mit dem römische Fest der Lupercalia zusammenhängt, das vom 13. bis zum 15. Februar gefeiert wurde.“
Lupercalia, für die Altgriechen zur Kenntnis und die Schullateiner zur Erinnerung, das war in Rom der Tag, an dem nach einem Opfermahl die ansonsten nackten Priester zu ihren Luperceli (den Fellen der geopferten Böcke) griffen, sich diese um die Hüften schwangen und mit Fellstreifen bewaffnet um den Palatin herumliefen. Wikipedia erklärt: Verheiratete Frauen stellten sich ihnen gern in den Weg und ließen sich von ihnen mit den Riemen in die Hand schlagen, weil sie sich davon Ehesegen erhofften. Fleurop kommt an dieser Stelle nicht einmal ansatzweise vor, war in dieser Zeit nichtmal erdacht – oder erinnern wir uns, dass der erste Marathonläufer „Blumen und Pralinen vom Arsch der Hölle“ (Perser gegen Athener) mitgebracht hat?
Bücher wurden zu jener Zeit ebenfalls nicht weitergereicht – dennoch kann man 2013 statt zu Blumen auch zu „Meine erste bis neunundneunzigste Liebe“ greifen – und das freundlich gestaltete, thematisch bei Sarah Hakenberg abgeschaute Werk verschenken. Rebecca Casati veröffentlichte zur Jahrhundertwende scheinbar Ähnliches mit „Hey, Hey, Hey“; begonnen hat das Liebessammelgenre mit Casanova oder dem lebenssüchtigen Antifaust Don Juan, vielleicht auch den zwölf Jüngern Jesu? – Bei Jasna Mittler gibt es schöne Bilder und allerkürzeste Erinnerungen an Sandkastenschwarme, die wieder gegangen sind, weil die Autorin weder Pommes noch Würstchen kochen konnte, bis zum Klassiker: dem verheirateten Mann, der unwesentlich jünger war als der eigene Vater des dereinst suchenden Mädchens. Die erste bis neunundneunzigste Liebe, das sind keine Belege eines polygamen, männermordenden Wesens, sondern schwärmerische Augenblicke, denen Jasna Mittler etwas Liebevolles abgewinnen kann:
Die Geste eines Schulfreundes, eine Telefonstimme, das jungenhafte Lächeln eines Beaus aus Madagaskar, oder auch die phantasiebeladene Ausstattung ihrer ersten Ken-Barbiepuppe mit Echthaarfrisur. – Es besteht deshalb ein großer Unterschied zwischen Casanova, Casati und Mittler. Die einen schreiben über Sex, über die Liebe als Mathematik. Die Dumont-Autorin aber hat „eine Liebeserklärung an die Liebe“ verfasst, ganz unironisch, unpeinlich, unpathetisch. Ihre „Lieben“ können wenige Sekunden dauern, oder sich über Monate in gemeinsamen Wohnungen hinziehen. Was sie alle eint: Dass sie vergehen, dass sie endlich sind, nicht fortdauern wollen. Mit diesem Buch hat Jasna Mittler jeder Episode etwas Erinnernswertes entrissen, um am Ende der Odyssee diese Sätze preiszugeben:
„Meine neunundneunzigste Liebe bist du. Du sitzt mir gegenüber und hast geduldig meinen Berichten gelauscht. Jetzt liegt mein Herz hier auf dem Tisch, nackt und wehrlos und nicht besonders schön.“ Da ist er, der große Wunsch aller, auf die gleiche Weise angenommen zu werden wie Isolde von Tristan angenommen wurde, über 800 Jahre zuvor, in einer Zeit, als die Ehre der Frau abhängig war von jener des Mannes. Doch dann kommt Tristan, nimmt seine Frau trotz Ehebruchs so, wie sie ist und liebt sie auf unvergleichbare Weise. Der Schweizer Literaturwissenschaftler Walter Haug hat in einer Festschrift einiges geschrieben über „Den Tristanroman im Horizont der erotischen Diskurse des Mittelalters und der frühen Neuzeit„. Bei Gottfried von Straßburg fing alles an; Die Liebe als persönliche Feier des Lebens, vom ersten bis zum neunundneunzigsten Mal (und möglicherweise auch darüber hinaus).
Jasna Mittler: „Meine erste bis neunundneunzigste Liebe„, mit Illustrationen von Silke Schmidt, Dumont, 162 Seiten, 14,99 Euro – hier geht es zur YouTube-Lesung, aus der auch das Beitragsbild stammt.