Nach dem Zusammenbruch der USA und der Totalüberwachung des alten Europa haben sich die Hedonisten dieser Welt in Südostasien verschanzt. In einer Drogenzone locken ewige Entspannung und Dauerparty – doch dann droht alles zu kippen: Im neuen Roman „DZ“ von Selim Özdogan.
„Wir hatten Elektrolyte, Aristozym, Kokablätter gegen Hunger und Durst, Amphetamin für alle Fälle, 10 Pappen mit LSD, 1 Gramm DMT-Base, Kava, GHB, 20 Gramm gemahlene Kratomblätter, ACO-DMT, 5 Gramm Mephedron, etwas AMT, 2 C-B und MDA, Tyrosin und Tryptophan. Nicht, dass wir das alles für den Trip brauchten, aber wenn man beginnt, eine Reiseapotheke zusammenzustellen, neigt man schnell dazu, extrem zu werden.“ Das Druffipaar Zoë und Damian sucht nicht nur mithilfe eines Überlandbusses das Weite.
In fernerer Zukunft, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika untergegangen sind und das nervöse Europa endgültig zur Kein-Spass-Area herabgesunken ist, treffen sich Schamane, LSD-Jünger, Technofreaks und Molekülsüchtige im fernen Südostasien, wo eine „Drogenzone“, ein Bewusstseinsghetto errichtet wurde. Hier hat die westliche Welt alles versammelt, was sie aus ihrer Gesellschaft ausgegrenzt haben will, was ihr schlichtweg Angst bereitet. In Europa ist – wie heutzutage – nur erlaubt, was die Produktivkraft erhält und lediglich eine kleine Ablenkung vom Arbeitsalltag ermöglicht.
Schickte man die Wahnsinnigen im Mittelalter auf die Narrenschiffe, später in Nervenheilanstalten und Gefängnisse, so steuert und grenzt man in der „DZ“die Triebhaftigkeit des Menschen aus. Drumherum: Ödnis. Innendrin: Dauerparty. Täglich besuchen Trip-Touristen die „DZ“, um später mit der Gewissheit heimzufahren: Uns geht es gut bzw. besser als den Irren, Drug-Addicts und DZ-Wahnsinnigen.
Immer wieder tauchen neue Drogen in der DZ auf. Meistens stammen diese von großen Pharmafirmen, die Mittelchen auf den kapitalistischen Markt werfen, die beispielsweise die REM-Phasen im Schlaf verlängern und die Träume intensivieren. Diese Rauschmittel werden in staatlichen Drogerien verkauft. Das illegale Zeug wandert in Geheimfächern von Hand zu Hand, versteckt in alten Büchern, die keiner mehr lesen will. Gleichzeitig versuchen die Pharmafirmen, diese neuen Drogen aufzuspüren, ihre Inhaltsstoffe im Labor aufzuspüren, um das Zeug legal und gewinnbringend zu verticken.
Damian gerät an eine dieser neuen Drogen mit dem seltsamen Namen „wmk“,ein Mittel, das die babylonische Sprachverwirrung aufhebt und wie ein chemischer Google-Translator noch den fernsten Slang ins Deutsche übersetzt. Es ist klar, dass damit alle Schranken fallen, dass die Macht, die durch das vorherige Nicht- Verstehen der anderen bestand, nun nicht mehr gilt. Ein Menschheitstraum scheint zum Greifen nah. Denn Wissen ist Macht und wenn die Ohnmächtigen nun zu Wissen gelangen, droht Gefahr für eben diese Macht (man denke nur, was die Luther-Übersetzung der Bibel damals in Europa ausgelöst hat). Doch wmk hat ungeahnte, sehr gefährlich Nebenwirkungen, die erst später offensichtlich werden.
Zur gleichen Zeit forscht Damians Bruder Ziggy in Europa über Wahrnehmung, Bewusstseinsveränderungen und den freien Willen. Als die gemeinsame Mutter erfährt, dass sie in einem halben Jahr an Leberkrebs sterben wird, reist Ziggy in die DZ, um Damian zu suchen, der heimkommen und sich verabschieden soll. Doch Damian befindet sich jedoch auf der Flucht, gemeinsam mit Zoë und der gigantischen „Reiseapotheke“. Dann verfällt auch Ziggy dem „wmk“ und erkennt ihre tatsächliche Gefährlichkeit. „Die Welt als Droge ist keine Metapher, sondern eine Tautologie“, heisst es an einer Stelle. Auf diese Weise wird dieses Buch, das die ganze Zeit von Rauschmitteln erzählt, zum Anti-Drogen-Manifest. Den wahren Rausch bietet nämlich: Das klare Leben. Denn nichts ist langweiliger, als durch Türen zu gehen, die sperrangelweit offen stehen.
Selim Özdogan: „DZ“, Haymon, 372 Seiten, 22,90 Euro
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