„Einer von damals, der es zu einem Professor für Philosophie gebracht hatte, fand das alles sehr interessant, bevor er mir erklärte, Gartenzwerge in deutschen Vorgärten seien des Kleinbürgers Traum von einer eigenen Armee von Lohnabhängigen unter Tage, die er, der Kleinbürger, sich in der Realität nicht leisten könne.“ – Sven Kuntze liest anekdotenreich und teilweise süffisant einer rechthaberischen Generation die Leviten: Es ist seine eigene.
Wer macht den Dreck jetzt weg? „Selten hat ein Jahrzehnt so wohlhabend und reich mit unerhörten Möglichkeiten ausgestattet begonnen wie die Sechzigerjahre. Wer jetzt heranwuchs, brauchte nur zuzugreifen. Der Gabentisch war reich gedeckt, und das Auspacken der Geschenke konnte leicht ein ganzes Leben in Anspruch nehmen.“ ARD-Journalist Sven Kuntze, Jahrgang 1942, Fernsehpreisträger und Bestsellerautor (“Altern wie ein Gentleman“, 2011) rechnet gerade mit seiner Alterskohorte ab. „Die schamlose Generation – Wie wir die Zukunft unserer Kinder und Enkel ruinieren“ heißt sein furioser Schuldschein, der sich liest wie die letzte Beichte vor Exitus. Auf 256 Seiten türmt er kapitelweise Versagen auf Versagen jener im Westdeutschland der 1940er bis Mittfünfziger Geborenen. Atommüll, über zwei Billionen Euro Staatsschulden, ein marodes Bildungssystem, zu wenige Nachkommen, Rentenlöcher und Bad Banks gehören zum Erbe das den Kindern und Kindeskindern der reich beschenkten Nachkriegsgeneration hinterlassen wird.
„Innerhalb kurzer Zeit erlösten die Vierziger alles von allem: die Haare vom Schnitt, den Tanz vom Schritt, die Sexualität von der Fortpflanzung, den Umgang von den Manieren, die Mode vom Geschmack, das Examen von den Noten, den Sport vom Sieger und die Beziehung von der Verbindlichkeit. Das ist üppige Ernte, und die Liste ließe sich beliebig fortführen.“ Milde Worte wie diese sind rar in Kuntzes Buch, das sich wie die Aufforderung zum Vatermord liest. Warum geht die Jugend nicht auf die Straße oder räumt die abbezahlten Hütten ihrer Eltern aus, verlangt Abbitte für das Chaos? „Psychologen haben festgestellt, dass vielen Kindern der Vierziger die ödipale Phase vorenthalten wurde. Dieses verläuft für einen Knaben als Kampf um die leibliche Mutter in scharfer Frontstellung gegen den eigenen Vater. Sie muss im Lauf der Entwicklung mühsam überwunden werden, um schließlich in einer reifen Verbindung zwischen Vater und Sohn aufzugehen. Mädchen arbeiten sich in der gleichen Konfliktkonstellation mit ähnlichen Folgen an der Mutter ab. Für den ödipalen Konflikt waren die Vierziger in ihrer Rolle als Eltern jedoch denkbar schlecht geeignet. Welche Tochter und welcher Sohn hat schon Lust auf hennarote Haare, Batiktücher und sackähnliche Kleider in den mürben Farben von Naturwolle wie die der Engel bei weihnachtlichen Krippenspielen?“
Am Ende des Buchs denkt man als Nachgeborener über mögliche Konsequenzen nach, von denen der Sturm auf die Pavillons von Lanzarote oder Teneriffa, wo besagte Generation im Winter jettet zu den weniger abstrusen Visionen gehört. Innehalten wäre eine zweite Möglichkeit. Denn in die Fünfziger des vergangenen Jahrhunderts will kein Freiberufler, Kastanienallee-Hipster, selbst kein Dauerpraktikant zurück. Vielleicht reicht ein Appell an die eigenen Eltern, Maß haltend ihren Lebensabend zu bestreiten und alle Vertreter von „Generation Golf“ bis „Generation Y“ wenigstens mit rechthaberischen Ratschlägen im 68er-Duktus zu verschonen. Stichwort: Seid nicht so angepasst! Kuntze sagt ganz klar: „Die vitalen Vierziger werden für die Siechen einkaufen und kochen müssen, Rollstühle durch die nahe Grünanlage schieben, den Vereinsamten Gesellschaft leisten, beschädigte Körper reinigen und pflegen und Sterbenden die Hand halten.“ Ihre gehetzten Kinder haben ohnehin keine Zeit, weil sie mehrere Jobs gleichzeitig bewältigen müssen. Eventuell fällt der Generationenkampf also aus. Wirklich sicher ist sich Kuntze allerdings nicht. Klug handelt daher, wer kurz vor Schluss die Seite wechselt. „Die schamlose Generation“ ist ein veritabler Persilschein, gedruckt auf „FSC®-zertifiziertem MIX-Papier „aus verantwortungsvollen Quellen“.
Sven Kuntze: „Die schamlose Generation – Wie wir die Zukunft unserer Kinder und Enkel ruinieren“, C. Bertelsmann, 256 Seiten, 19,99 Euro