„Seid ihr gut drauf, seid ihr gut drunter?“ In Wuppertals Tanzhaus Alpemax beweist DJ Dave bereits kurz nach halb elf Uhr abends bemerkenswert rustikale Unterhalterqualitäten. „Fickööön!!“ steht auf seinem Shirt, mit drei „Ö“ und zwei Ausrufezeichen, bekräftigt durch Daves‘ Blick, der seinen Gästen sagen will: „Hoffentlich ist diese, also meine, T-Shirt-Aussage am Ende des Abends eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Fickööön!, ja, doch, Bitteschön.“ Denn sonst müsste er allein dorthin gehen oder tiefergelegt fahren, von wo er vermutlich hergekommen ist, zurück in seinen Tönisheider Trailerpark zum Beispiel. Oder so.
„White Trash“ sagt man in Amerika zu solchen Gestalten. Doch sagt man dies bestimmt nicht im urdeutschen Alpenmax, wo Menschen mit bilingualem Bildungsabschluss selten auf der krimesbunt erleuchteten Tanzfläche zu sehen sind. Am Hals von Dave, dem DJ, baumeln Schnuller und Leuchtstäbchen und irgendwo zwischen Baby und Bauarbeiter bewegt sich auch diese Samstagnacht, bewegt sich diese laut Ankündigung „Dessous-Party mit Anbagger-Garantie.“ Versprochen wird, dass die „heißesten Mädchen weit und breit“ auftreten werden.
„Weit und breit“, das steht, soviel kann vorweggenommen werden, an diesem Tag, bei diesem „Event“ eher für Ostblock und Betrunken-Sein. Um letzteres, um das Betrunken-Sein zu erreichen muss viel gebechert werden. Jägermeister fließt und alle warten auf die Damen und ihre Dessous, welche später mit sogenannten, bei jeder Bierbestellung beigelegten Alpenmax-Dollars ersteigert werden können. Also, die Dessous, nicht die Damen.
Bis dahin: ABBA-Dancefloor-Versionen und Ibiza-Schlager, der ganze Crazy-Frog-Dreck, welcher bereits im Original wie eine polyphone Klingelmelodie tönt. „Ab geht die Party und die Party geht ab.“ Aus Fernsehgeräten flimmern stumm SB-Waschcenterwerbung, Comicstrips, Fahrschulinserate. Holzhütten, mit Sombreros und Gummibooten geschmückt, verbinden innenarchitektonisch Alpen- und Mittelmeersehnsüchte. Die Toiletten, rastplatzsauber, erinnern ganz besonders an die schönste Zeit des Jahres, an Sonne oder Schnee, an eine andere Welt neben arbeitssamen, gewöhnlichen und von Gewerkschaften zurecktgestreikten Wochentagen.
Alpenmax, das heißt Titten, Tresen und berechenbare Temperamente. Es johlen alle, laut und schamlos wie Michel-Houellebecq-Figuren, als die ersten Dessous-Mädchen das Programm mit semifrivolen Tutti-Frutti-Einlagen unterbrechen. „Ihr Männer seid widerlich“, bemerkt eine Besucherin. Auf den Einwand: „Wenn das nicht funktionieren würde, wären wir längst ausgestorben“, antwortet sie keck: „Wollen wir, dass sich dieser Teil der Menschheit fortpflanzt, mh?“ Solche Fragen überlassen wir lieber dem Feuilleton, obwohl es interessant wäre, zu erfahren, in welchen Verästelungen diese Argumentation wachsen könnte, selbst an diesem „Ort“.
Die junge Dame ist nur gezwungenermaßen hier, zur Junggesellinnenparty ihrer Freundin Fabienne und man könnte jetzt einen kleinen Exkurs über DDR-Mädchennamen wie Fabienne, Mandy, Cindy und Jaqueline beginnen, aber das wäre in diesem Fall unangepasst, denn Fabienne kommt nicht aus Gera, sondern aus Bottrop und genau dort wird sie in wenigen Tagen Chris heiraten, der gerade in Hasenkostüm lustige Junggesellenabschiedspräsente an ahnungslose Nachtmenschen verkauft. Die Mädchenclique hat sich das Alpenmax als leidlich unverfängliche Lokalität ausgesucht, hin- wie hergerissen zwischen Faszination und Ekel. So funktioniert bekanntlich auch Jackass, die Serie, in der Stuntmen ohne Bungeeseil von Twin Tower hohen Brücken springen und ähnliche Dummheiten für die Kamera begehen. Faszination und Ekel, oder auch: Ein extremer Glücksfall.
Dann genau darin liegt dieser Alpenmax-Charme: Alle haben etwas davon. Wer feiern möchte, muss sich kaum ängstigen, von den Türstehern abgewiesen zu werden. Zudem kennen sich mindestens zwei Drittel der Besucher von vergangenen Wochenenden. Das schafft Geborgenheit. Es bleibt friedlich. Der Mix, musikalischer wie einrichtungstechnischer Art, lockt den 18-jährigen Bauschlosser-Azubi ebenso wie jeden Midlife-Crisis resistenten Halligalli-Freund jenseits der Vierziger.
Gleichzeitig können gestandene Kulturchauvinisten diese zutiefst geerdete Atmosphäre nutzen, um sich über das Objekt einer verwunderten Anschauung zu stellen. Beide Welten existieren von einander wenig wissend, an diesem Ort selig nebeneinander. Das muss man erst einmal schaffen. „Wie heißt deine Lieblingsdiskothek?“, wird der junge Mann irgendwann nach dem ersten Dessous-Ersteigerungserfolg gefragt. „Hier!“ antwortet er geistesgegenwärtig. Keiner lacht.
Irgendwann tanzen die Dessous-Models barbusig vor begeistertem Publikum. Einige Gäste halten den frisch angeflirteten Partner des Abends in ihren bierseligen Armen. Die anderen begrüßen ihre Bald- oder Bereits-Ehemänner. Weiterhin sind alle gut drauf – wahrscheinlich auch drunter. Ab geht die Party und die Party geht ab. „Wie heißt deine Lieblingsdiskohek?“ unternimmt der Moderator einen zweiten Versuch und hört, dann, endlich, tief und röhrend: „Alpenmax!“ Na bitte, geht doch, oder?