„Tyyypisch. Immer Hoffnung, Hoffnung, Hoffnung. Selbst beiim Verrecken“, lästert eine Wollmaus, während die unglücklich gestürzte Angela stirbt. „Unter Einzelgängern“ erzählt, wie eine Familie von Mutters Tod wachgerüttelt wird.
„Unter Einzelgängern“ beginnt mit Angelas Todesschrei, endet auf einem Friedhof im November und fährt dazwischen Gefühlsachterbahn mit seinen atemlos lesenden Fans. – Mutter Angela, Papa Erich, die Kinder Simon, Katrin, Hannes und Katze „Mauerfall“ sind eine Familie. Punkt. Wenn irgendwann nur noch drei von sechs Angehörigen leben, steht über diesem Punkt das große Fragezeichen.
Weil bereits der einzelne Mensch ein Abgrund ist und es einem angeblich schwindeln soll, sobald man hinabsieht, kann jeder ahnen, was passiert, wenn ein Buch die Abgründe einer kompletten Familie ausleuchten will. Die sind alle wahnsinnig! Angela leidet unter ihrem gefühlskalten Ehemann Erich, der ihr zum 45. Geburtstag ausgerechnet einen Kühlschrank schenkt, quasi als Sinnbild seines eigenen Charakters. „Es gibt acht unterschiedliche Kältestufen, von Cool über Freezing bis Arctic.“ Erich wiederum, von seiner Gattin längst auf Sexdiät gesetzt weil seine Brüste mit ihren konkurrieren können, setzt fortlaufend Kummerspeck an. Simon wird bald am Leipziger Literaturinstitut studieren (wie Christopher Kloeble), und die versagensreiche Vergangenheit hinter sich gelassen haben. Katrin, die in ihrer Jugend lange Zeit wegen eines Unglücksfalls kein Wort gesagt hat, bleibt melancholisch und sucht ahnungslos Trost bei einem viel zu jungen Bengel, der später wiederum in Mordverdacht geraten wird.
Wenn Katrin ihre Sorgen kompensiert, indem sie ihre Lieblingspuppe als allerbeste Freundin mit sich nimmt, sogar zum See, dann ändert sich nichts, dann wird alles nur noch schlimmer. Hier geht nichts vorbei, außer vielleicht das Parfüm „en passant“, das Mutter an ihrem Todestag aufgetragen hat und das Katrin als duftende Erinnerungskrücke dient. Hannes fürchtet sich derweil vor Rottweilern und wird vermisst, wobei hier nicht verraten werden soll, weshalb Hannes vermisst werden wird. Angela stirbt. Damit beginnt Christopher Kloebles Roman. Angela stirbt. „Sie schrie. Doch es hörte sich nicht triumphierend an, wie sie gehofft hatte, eher zögerlich. Fast ängstlich.“ Ihre Kinder, die sie sehnsüchtig erwartet und bald zu umarmen hofft, werden Angela kurze Zeit später tot auf dem Teppich liegen sehen. Was von ihr dann bleibt: ein quallenförmiger Fleck auf dem Boden. Mutter stirbt, aber Vater will kein Reden darüber, auch keine Todesanzeige im Lokalblatt, er will das alles fortschweigen, er will vergessen, neu lieben und leben und wenn der Quallenfleck nicht wäre, hätte er Mutters Tod fortschweigen können.
Mit diesem Fortschweigen folgt er der gängigen Familien-Verdrängungsmethode. Wer in das kleine Häuschen, in die kargen, kaputten Leben dieses Verbundes eintritt, der findet sich tatsächlich „Unter Einzelgängern“ wieder und es wird Aufgabe des Textes bleiben, die Dennoch-Verbindungen dieser Einzelgänger offenzulegen, aus dem Schweigen heraus etwas zu ziehen. Das Cover deutet alles an. Da liegen verschiedenfarbige Wollfäden als Knäuel ineinander, nur die Enden fransen im Irgendwo aus. Aber im Zentrum scheint alles verknoten, unentwirrbar, dicht an dicht und wirkt, als gehörte es dennoch nicht zusammen. Dicht an dicht sind die Ereignisse gesetzt in diesem niemals langweiligen Debüt. Alle großen Themen tauchen auf: Der Tod. Die Liebe. Die Enttäuschung. Der Hass. Der Wahnsinn. Der (Doppel-)Betrug. Das Schweigen, Schreien, Heulen, Flüstern, Atmen und Ersticken. Das Hetzen, Jagen, Stillstehen, Sterben, Suchen, Finden. Das Verlieren. Erich wird irgendwann auftauen, nachdem er sich die Finger am heißen Kochtopf verbrannt hat und Simon, der eigentlich sein Studium schmeißen will, der löst ganz zum Schluss ein erlösendes Versprechen ein. Es gibt eine Fee in diesem Roman, die alle Sorgen vergessen lässt. Es gibt letzte Erinnerungen an einen glücklichen Sommer, bevor Gewalt, Irrtum und Tod in dieser Familie einfallen werden.
Es gibt neue Lover und späte Hoffnungen. Es gibt wenige Worte für Christopher Kloebles Stilsicherheit, für sein literarisches Taktgefühl, für seine zärtlichen Blicke und knallharten Brüche im Plot. Das muss jeder selbst gesehen und gelesen haben. Obwohl er mit dem „Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung“ ausgezeichnet worden ist, versteckt sich dieser beeindruckende Debütant hinter den Herbsthypes der letzten Monate. Die ersten Stunden des neuen Jahres sollten ihm mindestens gehören, ab Freitagabend, 23 Uhr, im Kölner Salon, bei 1LIVE Klubbing mit Moderator Mike Litt und DJ Larse. Christopher Kloebles Figuren mögen Einzelgänger sein und bleiben. Ihr Autor aber hat Fußballstadien füllende Fans und Weggefährten verdient.
Christopher Kloeble: „Unter Einzelgängern“, dtv, 180 Seiten, 14,90 Euro