Der 26-jährige Hamburger Pavo Pejić erzählt in seinem erstaunlichen Debütroman “Pussykiller” von Happy-Slappings, Porno-Castingshows, minderjährigen Huren und Eisbong-Abenden.
Eine Realschulclique, 9. Klasse, gammelt in Hamburg ab und tauscht reale Gruselgeschichten aus – nur sitzen die Jungs nicht um ein Lagerfeuer, wie die Märchen- und Mythenerzähler aus grauer Vorzeit, sondern auf abgeranzten Spielplätzen, vor Einkaufszentren, im Drogen- und Rotlichtkiez: “Marko sagt, dass ein Junge aus seiner Nachbarschaft am Dienstag von einem Jungen aus einer ganz anderen Gegend erschossen wurde.” Damit fängt der verdammt gute “Pussykiller”-Roman von Pavo Pejić an und wer bereits bei diesen Sätzen seine Augen schließen muss, der liest am besten gar nicht weiter. Denn es kommt wesentlich schlimmer. Und während es schlimmer kommt, rappt das stark von “Lady Bitch Ray” inspirierte “Fanny Girl” die Worte “Sozialisation” auf “Liaison” und beides zusammen dann auf “Aids-Infektion”.
“Pussykiller” ist eine Geschichte, die mit eigenem Soundtrack daherkommt, keinem echten natürlich, es gibt keine CD oder dergleichen, aber es gibt die Rhymes erfundener HipHop-Stars, die sich hier ins Zeug legen. Der 26-jährige Pavo Pejić kann dabei aus bekanntem Milieu berichten. Er studiert Soziale Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (hat also auf akademischem Niveau mit Alkoholikern, Drogies, Obdachlosen und anderen Hilfsbedürftigen zu tun) und er lebt in Hamburg-Dulsberg, einem oberflächlich recht schmucken Klinkerbauviertel zwischen Wandsbek und Barmbek, nicht weit vom wunderschönen Stadtpark entfernt. Aber diese Ecke ist ein Problemviertel. Schießereien kommen vor. Die Polizei zeigt verstärkte Präsenz. Hier sind zwar nicht die Jungs von der Reeperbahn unterwegs – aber dafür ganz andere Banden, die aus ihrem früh angelernten Kriminellen-Ding nicht herauskönnen.
So geht es auch der Clique im Buch. Keiner der (Anti-)Helden kommt aus seinem Kriminellen-Ding heraus und wenn man eine große Stärke dieses Romans schonmal nennen will: Pavo Pejić schafft es, Typen, die im wahren Leben nicht langweiliger sein könnten, mit sprachlichen Mitteln interessant zu machen. Man leidet mit diesen Jungs aus der 9. Klasse einer Realschule, obwohl sie einige ätzende Eigenschaften vor sich hertragen. Paul schreibt sich selbst die Entschuldigungszettel und wird das Schuljahr vermutlich nachsitzen müssen. Anstatt zu lernen hängt er lieber mit seinen Leuten ab, raucht Bong mit Eiswürfeln, kaltem Wasser und einem Schuss “Odol” (”wenn du Glück hast, bläst sie dir das Hirn weg, wenn du Pech hast, dann auch”). – Er zieht Handys ab, um sie an dubiose Elektronikhändel weiter zu verscherbeln und sein Fahrrad ist ebenso geklaut wie die teuren Markenklamotten – last but not least übrigens auch seine Sicht auf die Welt.
Diese ebenfalls geklaute Sicht wird von vier Autoritäten extrem verzerrt: Von seinen Eltern, von seinen Lehrern, von den Kumpels natürlich und vom TV-Internet-Handyvideo-Kosmos. Die Eltern werden sich irgendwann trennen, doch bis es soweit ist, nervt sein Vater mit Pseudo-Weisheiten über die verrohte, dumme Jugend (weiss aber selbst nicht, was ein “Konjunktiv” ist) oder er nötigt die Familie, ab sofort nicht die Klospülung zu betätigen, sondern das gebrauchte Wasser vom Haare- und Händewaschen zu benutzen. Er wird die Familie nicht zusammenhalten können und damit ein schwaches Vorbild als Mann abgeben. Eigentlich ist er eine durch und durch lächerliche Figur. Ebenso lächerlich ist der Mathematiklehrer, der mahnend vor der Tafel schreitet, doch anstatt zu lehren unrelevante Anekdoten aus Singapur zum Besten gibt – was den Lernerfolg der gesamten Klasse schmälert.
Autorität besitzt die Clique, allesamt Minizuhälter (einer wird später seine 13-jährige Freundin auf den Strich schicken), verdorbene Jungs, die ihre Privatpornobilder “als Werbung” ins Netz stellen wollen, Gangbangs lieben und gleichzeitig Bonbonwettessen veranstalten, also ganz klar zwischen Kind- und Erwachsen-Sein schlittern. In der Zwischenzeit schwärmen sie für eine TV-Pornocastingshow, in der zwar kein Dieter Bohlen in der Jury sitzt, dafür aber junge Damen mit nie gesehener Freizügigkeit für Gesprächsstoff sorgen. Diese Freizügigkeit wird nur noch von recht ekelhaften Handyvideos übertroffen, die “Happy Slappings” oder bizarre Sexaufzeichnungen archivieren. Die ekelerregendste filmen die Jungs selbst – während sie ein behindertes Mädchen vergewaltigen und sich an ihren körperlichen Vorzügen aufheizen.
Vom polnischen Koks-Dealer aus der 7.Klasse, der heult, wenn seine Mama angerufen wird bis hin zu Typen, die ihre eigene Schwester für 30 Euro pro Verkehr anpreisen sind eine Menge Schweine in diesem Roman unterwegs und “Pussykiller” ist nur deshalb so gut, weil Pavo Pejić nie aus billigen Motiven schockt. – Seine Geschichte erinnert hier an Larry Clarks Film “Kids” von 1995, dort an Catherine Hardwickes Kinoaufreger “Dreizehn” von 2003. Die Dialoge sind gut abgelauscht und zwischen den Zeilen schwingt eine Menge Herz – “Pussykiller” erzählt harte Szenen, ist aber nicht kaltblütig, sondern mitteilsam beobachtet, von einem Autor mit grossem Verstand und ebenso grossem literarischem Mut.
Pavo Pejić: “Pussykiller”, Rogner & Bernhard, 352 Seiten, 19,90 Euro