An diesem Sonntag endet die Leipziger Buchmesse, der Frühjahrshöhepunkt von Verlegern, Autoren, Cosplayern und: Buchbloggern. Deshalb gibt es, zur Überbrückung bis zur Herbstmesse in Frankfurt eben hier die ungekürzte Fassung meines „A-Z Buchblogs“ aus der Berliner Wochenzeitung Der Freitag. (Weitere A-Z gibt es zur Frankfurter Buchmesse und zum Ingeborg-Bachmann-Preis.) Das Beitragsbild zeigt den vollgepackten Nachttisch von Buchbloggerin Mara Giese (-> Geld).

Akkreditierung Wer erfolgreich über Bücher bloggt kommt kostenlos auf die Messe, wird also akkreditiert und dann unter anderem bei den -> Bloggertreffen der Verlage freudig begrüßt. Die Akkreditierung ist der erste Schritt vom „Freizeitvergnügen Blog“ zur journalistischen Professionalität. Erstmalig findet 2016 eine etwas umständlich als „buchmesse:blogger sessions 16“ betitelte und 35 Euro teure Bloggerkonferenz statt, in der „bei Snacks und Getränken“ alte Hasen der Branche – vom Verlagsjustiziar bis zu Buchmarketingagentin – Tipps für Neulinge präsentieren. 2015 gab es mit dem Bloggerpaten-Projekt bereits einen Versuch, akkreditierte Buchblogger an die Leipziger Messe zu binden. Damals erhielten (nun folgt der offizielle Ankündigungstext) „ausgewählte Literatur- und Buchblogger die Chance“, ein nominiertes Werk des Leipziger Buchpreises vorab zu rezensieren und diese Rezension auf ihrem Blog zu veröffentlichen. Später bewertete mit Thomas Hummitzsch von „intellectures“ einer dieser Paten die Aktion als „ärgerliches Missverständnis“, denn man hatte vergessen, die Bloggerpaten adäquat einzubinden. „Die Mehrzahl der Autoren wusste davon gar nichts und ihre Verlage ebenso wenig“, bilanzierte Blogger Jochen Kienbaum von „lustauflesen.de“.

Bloggertreffen Natürlich reicht es nicht, dass sich Blogger auf Facebook, Twitter, bei Social Readings (-> Lovelybooks) oder während ihrer wechselnden -> Challenges begegnen. Ein besonderes Happening sind die meistens von Verlagen veranstalteten Bloggertage, bei denen Lektoren und Autoren im geladenen Kreis und bei Häppchen, Kaffee, Sekt ihr Programm vorstellen und am Ende mit Give-Aways in Form verschiedener Neuerscheinungen locken (-> HAUL). Zudem gibt es Bloggertreffen in wechselnden Städten und natürlich auch an den jeweiligen Ständen der Frühjahrs- und Herbst-Buchmessen. Das beginnt beim überfüllten Frühstück des Aufbau-Verlags über Signierstunden bei Random House bis zum gemeinschaftlich von den Bloggern organisierten Pow-Wow am Leipziger Messefreitag in der Bloggerlounge (Halle 5, Stand B 502). Bloggertreffen stärken den -> Zusammenhalt, sind aber auch ein feststehendes Marketinginstrument der Branche, die sich seit etlichen Jahren um Buchblogger, Amazon-Rezensenten und Boooktuber (-> Geld) reisst.

Challenge Manchmal geht Quantität vor Qualität, gerade wenn der -> SuB über den Rand des Bettes hinausgewachsen ist. Spätestens dann ist Zeit für eine sogenannte Challenge, also einen gemeinschaftlichen (->Zusammenhalt) Wettbewerb unter BuchbloggerInnen. Diese Challenge, oder auf deutsch eben Aufgabe, kann von jedem gestellt werden und wer sich den Bedingungen unterwerfen will, der kündigt die Teilnahme an einem dieser Motivationswettbewerbe in seinem Blog an. Eigentlich geht es vor allem darum, in einem bestimmten Zeitrahmen – der von einer Nacht übers Wochenende bis zum kompletten Jahr gehen kann – möglichst viele Seiten wegzuschrubben. Das klingt ein bisschen nach der intellektuellen Antwort der in Computerkreisen beliebten LAN-Parties. Goldkindchen möchte beispielsweise 2016 „das Alphabet durch meine Bücher die ich lese, vollbekommen“, von John Nivens „All die verdammt perfekten Tage“ bis zu Andy Jones’ „Zwei für immer“. Etliche Blogs haben sich dieser Challenge bereits angeschlossen, darunter Lilly Simphony, Mikka, bookish heart dreams und Anni-Chan. Das Bücher Labyrinth listet im Netz alle deutschsprachigen Challenges auf: vom „SUB Abbau Extreme“ bis zu „Wortmagies Makabre High Fantasy Challenge 2016“.

Frauendomäne Nur wenige Männer bloggen über Bücher. Zu den wenigen Ausnahmen gehören mit „54 books“ der Jurist Tilman Winterling, der Berliner Thomas Hummitzsch mit „Intellectures“, der Baby-Boomer Thomas Brasch mit „brasch & buch“ oder der Focus-Literaturredakteur und selbsternannte „Büchersäufer“ Uwe Wittstock. Die freie Lektorin und Texterin Mareike Fallwickl fand Anfang des Jahres in ihrem „Bücherwurmloch“-Blog „11 Gründe, warum Männer, die über Bücher bloggen cool sind“. Sie schreibt: „Lesende Männer sind sexy. Nicht umsonst hat der Instagram-Account Hot Dudes Reading, der lesende Männer zeigt, mehr als 774.000 Follower. (…) Männer lesen andere Bücher. Auf ihren Blogs entdecke ich Lesestoff, nach dem ich selbst nicht gegriffen hätte oder den ich eher skeptisch beäugt habe. (…) Viele männliche Buchblogger sind arrogant oder – mit etwas Milde ausgedrückt – selbstbewusst. Sie nennen sich ‚Alternative zum Feuilleton’ und ‚last man reading’, bezeichnen sich als ‚Dorfschönheit, Intellektueller, Kulturphilosoph’. (…) Sie sind oftmals sehr belesen und kennen sich gut aus, vor allem mit den Klassikern.“

Geld Sara, mir graut’s vor dir“, schrieb Thomas Brasch (-> Frauendomäne) im Juli 2015, nachdem die Booktuberin Sara Bow (-> HAUL) in der Süddeutschen Zeitung erzählt hatte, dass sie monatlich 800 Euro mit ihren Büchervideos wie „Ich gestehe…| Kindle Voyage Unpacking + Review“ einnimmt; über Werbung. Damit dürfte sie die einzige Bloggerin hierzulande sein, die mit ihren Büchervorstellungen („Das sieht ja super-, super-, supercool aus das Cover“) echtes Geld macht. Andere begnügen sich mit Rezensionsexemplaren (-> SuB) und Einladungen zu -> Bloggertreffen. Der materielle Gewinn kommt – wenn überhaupt – nur indirekt zustande, wie bei der einstigen Lovelybooks-Managerin Karla Paul, bekannt geworden mit ihrer „Buchkolumne“, inzwischen Digitalverlegerin von Edel. Ebenfalls zu Edel, als Volontärin, hat es Mara Giese („Buzzaldrins Bücher“) geschafft. Im Normalfall kostet ein Blog, denn Serverplatz muss ebenso bezahlt werden wie die Domain, Interviewreisen, manchmal auch die Designunterstützung eines professionellen Grafikers. 950 Buchblogs hat Tobias Zeising von „lesestunden.de“ im vergangenen Jahr aufgelistet und wer sich in der Szene umhört, der hört 6 von 10 Bloggern antworten, sie glaubten nicht, dass man in absehbarer Zeit mit freien Buchrezensionen im Netz Geld verdienen kann. Es gibt einige wenige Möglichkeiten, wie das so genannte Affiliate-Programm von Amazon, das die Nutzer an jenem Umsatz beteiligt, der per Klick direkt über die Blogseite entstanden ist. Da viele BloggerInnen hauptberuflich als BuchhändlerInnen arbeiten, fällt diese Einnahmequelle freilich weg, auch sind gesponsorte Texte in der Szene verpönt, zumal man lediglich einen kostenlosen E-Reader abstauben kann (gegen eine Besprechung desselbigen).

HAUL Übersetzt „Ausbeute“ oder „(Fisch-)Fang“, kommt aus der (amerikanischen) Mode- und Kosmetikbloggerszene. HAUL wird auch dort üblicherweise komplett in Großbuchstaben geschrieben wie beim „RIESEN shopping HAUL“ des YouTube-Sternchens Dagi Bee. HAULs zeigen Menschen in ihren privaten Räumen, wie sie ihre neuesten Shopping-Konsumgüter vor der Kamera präsentieren. Eine Sonderform des HAUL ist das so genannte„Unboxing“, also das öffentliche Auspacken beliebter Produkte, vornehmlich des neuesten iPhones oder wechselnder LEGO-Baukästen. Bei Tumblr (-> Verlagsblogs), Twitter, oder Pinterest gibt es inzwischen gigantisch viele Einträge unter dem Hashtag #Bookhaul. Über 163.000 präsentiert der Bilderdienst Instagram. Bookmaniacs zeigen hier ihre Pageturner, oft mit der obligatorischen -> Teetasse; als Stapel, Regalmeterreihe, Bücherchaos auf dem Wohnzimmerteppich, zum Weihnachtsbaum mit Lichterkette geschichtet. HAUL ist das Graffito der Buchblogger, eine kurze Meldung, oft über die Zusammensetzung des aktuellen -> SuB.

Lovelybooks Ein Verwandter der -> Challenge ist die Leserunde, die vor allem durch das Social-Reading-Portal „Lovelybooks“ bekannt geworden ist. Das Unternehmen aus München gehört zur Holzbrinck-Gruppe (S. Fischer, Rowohlt, KiWi) und ist eine Art Facebook für Bücherfans, vergleichbar mit dem 2006 gegründeten Pendant „Goodreads“ aus den USA (in dem vier Buchempfehlungen pro Sekunde hochgeladen werden). Besonders beliebt sind die von Lovelybooks angebotenen Leserunden, für die sich Nutzer bewerben können. Wer ausgewählt wird bekommt eine vorab angekündigte Neuerscheinung frei Haus und liest dann in der digitalen Gruppe gemeinsam mit dem Autor des Buchs, der sich zu festgesetzten Zeiten in die Diskussion einschaltet. Social Reading ist eine der großen Neuerungen der Buchbranche, sorgt es doch dafür, dass Autoren, Verlage und Leser näher zusammenrücken. 2015 hat Suhrkamp gemeinsam mit dem von Sascha Lobo gegründeten E-Book-Portal Sobooks eine Social-Reading-Aktion zu Clemens Setz’ über 1000 Seiten dicken Roman „Die Stunde zwischen Frau und GItarre“ gestartet. Man konnte (und kann weiterhin) einzelne Stellen des E-Books kommentieren, dem Autor auf Facebook oder Twitter folgen und sich in den extra dafür geschaffenen Blog einschalten.

SuB Abkürzung für „Stapel ungelesener Bücher“, einer gewaltigen Herausforderung der Buchbloggerszene. So wie sich der Musikfan – wie in Nick Hornbys „High Fidelity“ – einbunkert zwischen seinen Vinylregalen, so rafft der Romanfresser Hardcover, bis sich die Regalbretter biegen. Angehörigen der Hardcore-Bloggerszene ist es wichtig, dass jedes zu besprechende Buch vom eigenen (Taschen-)Geld erworben wurde. Seit Jahren gibt es die Diskussion, ob kostenlose, von den Verlagen zugesandte Besprechungsexemplare – wie sie für klassische Medien obligatorisch sind – als Bestechung angesehen werden können. Auch wird problematisiert, dass mit jedem neuen Buch der „SuB“ unweigerlich wächst, was dann nur zu unnötigem Druck führt. Ein Teufelskreislauf.

Teetasse Klischee oder Mysterium? Gegen allzu hohen Rezensionsdruck scheint nur ein Getränk zu helfen: Tee. Die Teetasse muss einer Buchblogbesprechung ebenso dienlich sein wie jene Instagramfilter, die über das Bild (mit Buch, Teetasse, Blümchen) gelegt werden. Ebenso gehört die Teetasse zum selbstverständlichen Nonbook-Sortiment nahezu aller stationären Buchhandlungen. Der „Herzgeschichten“-Blog bietet eine Teetassen-Lesezeichen-Anleitung zum Selberbauen. „Miss Watson liest Bücher, trinkt Tee & schreibt darüber“ heißt es bei der 24-jährigen Lisa; und Tessa schreibt in ihrem „Bücherwelt“-Blog am 4. Januar diesen Jahres: „nachdem draußen wunderschöne Schneeflocken zu Boden trudeln, sitze ich hier drinnen gemütlich vor meinem Laptop. Links die Teetasse, Rechts meine aktuelle Lektüre ‚Plötzlich Liebe‘ von Abby McDonald – schöner kann der Tag gar nicht mehr werden :)“

Verlagsblogs Deutschsprachigen Verlage wissen, dass sie im Netz nicht nur mit einer klassischen Unternehmensseite vertreten sein sollten. Deshalb haben Verlage wie S. Fischer mit ihrem „hundertvierzehn“-Blog, Suhrkamp mit dem „Logbuch“ oder Diogenes mit einem Tumblr (dem Blogdienst von Yahoo) eigene Literaturangebote aufgezogen, um kostengünstig (-> Geld), öffentlich und mit starken Stimmen aus dem eigenen Programm mitzumischen im Literaturpalaver zwischen Lovelybooks, HAUL-Videos und -> Teetassen-Meldungen. Es geht um so unterschiedliche Themen wie Autor Hansjörg Schneiders Erinnerungen an den Waschtag („Das begann am frühen Morgen mit dem Einfeuern des Waschofens“), Dichter Albert Ostermaiers „Scheitern als Songwriter“ bis zum exklusiven Webcomic „Der Sommer ihres Lebens“ von Thomas von Steinaecker und Barbara Yelin.

Zusammenhalt Obwohl es über 950 deutschsprachige Buchblogs (-> Geld) gibt, herrscht in der Szene Klassenfahrtstimmung. Über die „Blogroll“ genannte Linkliste befreundeter Blogs bilden sich Gruppen unterschiedlichster Leidenschaften, wie bei den Krimifans von „Mord & Totschlag“-Blogger Joachim Feldmann bis zu „Krimi & Co“ von Claudia Junger oder der Kochbuch-Bloggerfraktion (Kochbücher aller Zeiten und Arten sind ein eigener Forschungszweig der Literaturwissenschaften) zwischen „Toms Kochbuchblog“ und „Aufgepasst und lecker essen“ von Ralf Jacob. Man kennt und schätzt sich (meistens) und verlinkt quer, was das Zeug hält, denn: Traffic rules (wenn es schon keine Kohle abwirft).

Jan Drees

Ich bin Redakteur im Literaturressort des Deutschlandfunks und moderiere den „Büchermarkt“.

Im Jahr 2000 erschien mein Debütroman „Staring at the Sun“, 2007 folgte ein überarbeiteter Remix des Buchs. Im Jahr zuvor veröffentlichte der Eichborn-Verlag „Letzte Tage, jetzt“ als Roman und Hörbuch (eingelesen von Mirjam Weichselbraun). Es folgten mehrere Club-Lesetouren (mit DJ Christian Vorbau). 2011 erschien das illustrierte Sachbuch „Kassettendeck: Soundtrack einer Generation“, 2019 der Roman „Sandbergs Liebe“ bei Secession. Ich werde vertreten von der Agentur Marcel Hartges in München.

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1 Kommentar

  1. Schöne Liste.
    Vielleicht sollte ich dann doch mehr auf Tassen als auf Shirts setzen:
    http://literature-and-shirts.com/#!accessories+mugs+&+drinkware?q=D5P49

    Wobei ich leidenschaftliche Kaffee-Trinkerin bin und Tee nichts abgewinnen kann.
    Aber die Idee mit dem wohlig warmen Getränk ist wohl die Gleiche.

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