Am heutigen Mittwochnachmittag (ab 16:10 Uhr) spricht der Dlf-Büchermarkt mit Maren Jäger und Christian Metz anlässlich der Leipziger Buchmesse über das „Habitus“-Debüt der schwarzen, niederländischen Lyrikerin Radna Fabias – und wir wandern mit Karin Fellners „Polle und Fu“ durch eine digital-fantastische Landschaft, zwischen Transponder, Chips und Lachsriemen.
Die offensichtlichste Frage wird gleich zu Beginn gestellt: Wer ist Polle und Fu? „Fragst du die Brotfische, sagen sie: stoff- / wechselnde Namen, die sich mal so, mal so / aneinander klammern, stoßen, freuen.“ Man stellt sich unweigerlich etwas Symbiotisches vor, ähnlich des fernöstlichen Yin/Yang-Duos und ist mit Fu ohnehin auf der richtigen Seite, Stichwort. Kung Fu. Diese so zusammenhängenden, stoffwechselnden Helden leben in einer Welt, die irgendwo zwischen digitaler Natursimulation (es gibt Transponder, Chips, Clouds und DRAMs) und H.P. Lovecrafts Gelände um den Miskatonic River angelegt ist. Der Band, in fünf Zyklen eingeteilt, berichtet von den Lebewesen, der Topographie und den Ordnungsprinzipien dieser Welt: „Ein Riemen ist ein halber Lachs, / ein Remel aber ein Bund Flachs.“ Ein Fisch will zu den Mu-Tieren gehen, „Maschinen dröhnen. Drohnen marschieren“, innig fühlen sich Polle und Fu, „wenn Aerosole wechseln von dir zu mir“. Die kleinen Schabernacke bedichten lustvoll die Apfelmuse, becircen einander im Hain („links halbleere Akkus, vorn ein Rest Knäuelgras“) und wechselbalgen mit ihren Spracheinfällen: „’Ich finde, dass zu viel steht’, sagst du, ‚Dinge ins Haus, / Haare zu Berge sowie, immer noch, der Ver-Stand.’“ Der Ver-stand wird zum Un-Sinn und trägt die doppelte Bedeutung des Vers-Tands mit sich. Wörter werden in neue Sinneinheiten zerlegt, Binnenreime geschüttelt und selbst das Bedrohliche wird kreativ, geradezu neckisch aufgelöst: „Aus Anti-Tauben-Stacheln bastelt die Taube sich / den Wappenspruch Nicht auf Zack.“ Karin Fellner hat ein lyrisches Universum geschaffen, in dem sich pausenlos das Fantastische ereignet. „Fu: Du, wenn wir den Bach da runtergehen, / wird’s uns dann wunder zumute?“ Polle und Fu – die beiden sind das schönste Liebespaar der deutschsprachigen Gegenwartslyrik. Karin Fellner: „Polle und Fu“, mit Tuschezeichnungen von Simone Cayè, Parasitenpresse, Köln, 72 Seiten, 12 Euro
Im Herzen der Mangelwirtschaft
Bei der Leipziger Buchmesse sind die Niederlande & Flandern als Gast eingeladen – mit großem Rahmenprogramm, darunter mit Radna Fabias, deren Lyrik-Debüt „Habitus“ im Heimatland mit Preisen überhäuft wurde. Fabias, 1983 auf der karibischen Insel Curaçao geborenen, wuchs ebenda auf und studierte später in den Niederlanden an der HKU University of the Arts Utrecht. Ihre Heimatinsel war einst Drehscheibe des Sklavenhandels, bis dieser 1863 verboten wurde. Curaçao-Touristen empfiehlt der Band ironisch: „sie können kirchen besuchen die eigentlich dieselben sind wie die die sie schon kennen / aber diesmal in bunt / um von der scham und dem blut / auf den wänden/ abzulenken“ – Dieser schwarzen Ironie bleibt „Habitus“ treu, auch nach der Ankunft in den Niederlanden: „die kandidatin kann fahrradfahren ohne stützräder / weiß, wie man die kleidung dem wetter anpasst / kann ohne jacke bei 15 grad nach draußen / setzt beim tanzen weniger die hüften ein“. In konsequenter Kleinschreibung, ohne Interpunktion, durchsetzt von Begriffen der Kreolsprache Papiamentu, fragt dieser Band nach einem „Habitus“, der von Gewalterfahrung grundiert ist: „muskat war früher schrecklich teuer / für eine muskatnuss konnte man früher einen sklaven kaufen / um anzugeben lief der käufer mit seiner muskatnuss durch die gegend und würzte damit öffentlich seine / getränke“. Die lässige Haltung eines Notorious B.I.G. („It’s all good, baby baby“) gibt den Ton dieser oft selbst wie Rapsongs aufgebauten Texte, mit stolzgeschwellter Brust. So feiert „Habitus“ den Reichtum migrantischer Erfahrungen, mit teils derbem Hintersinn: „schwarze löcher sind selten / schwarze löcher sind die erstaunlichsten / objekte im weltraum“ – und Männer werden nicht immer ganz ernstgenommen, geradezu verniedlicht: „ich bestreue seinen körper mit braunem zucker und bete er möge süß werden“. Fabias bestreut literarisch das eigentlich Schreckliche mit eben diesem braunen Zucker, nur das die Welt dadurch süß wird, bleibt schlechterdings unwahrscheinlich. Radna Fabas: „Habitus“, aus den Niederländischen übertragen von Stefan Wieczorek, Elif Verlag, Nettetal, 114 Seiten, 22 Euro
Das Lyrikgespräch mit Maren Jäger und Christian Metz kann hier nachgehört werden