Nicht jedes Buch ist seinem Klappentext gewachsen. Es gibt Klappentexte, welche zeigen, daß die Phantasie mancher Verleger ausschweifender sein kann als jene ihrer Autoren. Lessing hat über Gottsched geschrieben: „Zwei Taler sind für das Lächerliche zu zahlen, vier Groschen für das Nützliche“. Hier gibt es vier Verrisse. Beitragsbild: msleamichele on Instagram mit einem Belfie.
EINS Dass Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“ der Preis der Leipziger Buchmesse verwehrt wurde, ist die gute Nachricht. Die schlechte: Georg Kleins überambitionierter Nachkriegs-„Roman unserer Kindheit“ gewann. Ausufernd wie eine Nilschwemme beschreibt er eine Kinderclique im Augsburg der 1960er Jahre, zwischen Vogelzüchtern, Kriegsversehrten, Witze erzählenden Ärzten, Nudelpunkt-Sammlern, falsche Bären, einem Fehlharmoniker. Man besucht Schrebergärten, Bierkeller, Tabaklädchen, Fußballplätze. Das neue Telefon erobert die Diele. Hunde heißen Sputnik. Wundertüten enttäuschen mit Plastikringen – viel Hoffnung, noch mehr Nippes. Spannungslos (obwohl ein Mord angekündigt wird), quält sich die Geschichte durch eine bleierne Zeit. Süßliche Angstsäfte im gelackten Himmel – oder so ähnlich. Kein großes Beschreiben, sondern lahmes Wort-an-Wort-Basteln: Literaturhaus-Kitsch. (Georg Klein: „Roman unserer Kindheit“, Rowohlt, 452 Seiten, 22,95 Euro)
ZWEI Als Hitomi Kanehara 2004 für ihr Debüt „Tokyo Love“ mit dem Akutagawa-Preis ausgezeichnet wurde, war sie 20 Jahre jung. Nippons junge Literatur ist seitdem besser als Toyota. „Obsession“, Kaneharas zweiter Roman, erzählt von der 22-jährigen Bestsellerautorin Rin, die ihren Gatten freiheraus lieben möchte. Tatsächlich kommt sie vor Eifersucht um. Sie erinnert rückblickend, wie diese Panik entstand. Es geht um schräge und prägende Disconächte, um melancholische One-Night-Stands und um falsche Begleiter, die zum Ende des Abends den Slip ihrer Teenieflamme mitnehmen wollen oder bisweilen Ohrfeigen austeilen und Rin in Selbstmordgedanken treiben. „Obsession“ startet prickelnd wie ein guter Champagner, wird dann düster und riecht irgendwann (leider) nach billigem Sakewein. Zum Schluss gibt es den erschütternden Kater, wenn Rin als gefallene 15-Jährige geschildert wird. „Ich werde mich ändern, aus eigener Kraft“, schwört sie dann. Nur der Leser weiß, dass dies ein frommer Wunsch bleiben wird. Mittelprächtige Story. (Hitomi Kanehara: „Obsession“, Ullstein, 224 Seiten, 18 Euro)
DREI Ein paar Jahre vor Kim Kardashians Epiphanie gab es dieses überkandidelte und kurvenreiche „Big Fat Ass“-Selbsthilfeseminar für Slimline-Hasser und Buttersoßenfans. „Die Jeans wächst mit ihren Aufgaben“ verspricht das Cover, direkt neben dem saftigen Bild einer dicken, wohlgeformten Birne. Hier wird kein „Germany’s Next Topmodel“-Klientel angesprochen, sondern füllige Naschkatzen, pummelige Sahnetortenesser, deprimierte Mädchen mit BFAs („Big Fat Asses“). Es ist ein Trend, der aus den USA nach Europa schwappt: Korpulente Frauen kämpfen für gesellschaftliche Akzeptanz und dieses Buch könnte ihr Manifest werden. Erfahrungsberichte, Meditationen über den Zusammenhang von Selbstwertgefühl und Pobackengröße, Horoskope und Kühlschrankanalysen bilden eine ebenso kuriose wie humorvolle Melange. Man kann seinen A**** darauf verwetten, dass viele Frauen behaupten werden, „soetwas“ nicht zu lesen – und dennoch wird es reihenweise gekauft. (Laura Banks, Janette Barber: „Die neue A****-Klasse“, übersetzt von Andrea Brandl, Blanvalet, 290 Seiten, 8,95 Euro)
VIER Die weltweite Finanzkrise ist ausgestanden, alle Boni steigen hoch. Am Kiosk liegt die Probenummer des egozentrischen Wirtschaftsmagazins „Business Punk“ und Ex-Gangsta-Rapper „50 Cent“ veröffentlicht unter dem liberalen Titel „Geld Macht Freiheit“ seine „10 Gesetze für den täglichen Businesskampf“ (Redline Verlag, 320 Seiten, 24,0 Euro). 50 Cent steht unter anderem für „intensiven Realismus“ („Die Dinge so sehen, wie sie sind“), für „Opportunismus“ („Machen Sie aus Dreck Gold“) und für, bitte festhalten: „Das erhabene Gefühl des Aufgehoben-Seins im Kosmos“ („Konfrontieren Sie sich mit Ihrer eigenen Sterblichkeit“). Co-Autor Robert Greene hat sichtlich Mühe, aus den kraftstrotzenden Ghettowahrheiten des „P.I.M.P.“-Poeten so etwas wie ein „Buch“ zu basteln. Da helfen auch keine Pascal- und Nietzsche-Zitate, die wie wehendes Lametta auf einem Misthaufen die „10 Gesetze“ (oder Gebote) des rappenden „Bravo Otto“-Gewinners (2004 und 2005) aufwerten sollen. Peinlich.