Wenn ich mal groß bin, komme ich morgen später rein und nenne es Arbeit. Monatlich erscheinen neue Generationenbücher, die Visionen und Visiten über 20- bis 30-Jährige nachzeichnen. Sind wir alle doofe, digitale Praktikanten oder liegen diese Bücher falsch?
Als der Journalist Sascha Lehnartz sein Sachbuch „Global Players – Warum wir nicht mehr erwachsen werden“ (Bild) veröffentlichte, konnte er kaum ahnen, dass ein neuer Hype geboren war. Die Generationenbücher erleben seit 2005 einen Boom. Florian Illies'“Generation Golf“ war ein zaghafter Anfang. Die Spielkinder kommen jetzt aus allen Ecken angerannt, und Martin Reichert schreibt in „Wenn ich mal groß bin“, dem Lebensabschnittswerk der so genannten Generation Umhängetasche, folgerichtig über die ewige und ewig nervende Jugend von heute.
Allerdings geht es ihm nicht um Siebzehnjährige, die auf Mando-Diao-Konzerten ihren legitimen Pop-Spaß zelebrieren, sondern um Texter, Werber, Banker, die ihren erschlafften Mittdreißiger-Körper spätabends in enge Röhrenjeans packen und schamlos mitfeiern wollen, als gäbe es nur Sex, Drugs & Rock ’n‘ Roll. In 30 kurzweiligen Kapiteln referiert er, wie kinderschokoladensüchtige Ampelmännchen-Anhänger dem Peter-Pan-Syndrom entsagen können. Reichert möchte die Junggebliebenen bekehren: „Bewahren Sie doch einfach den aufregenden Moment, als Sie zum ersten Mal nachts mit Freunden ins örtliche Kleinstadt-Freibad eingebrochen sind, als schöne Erinnerung in Ihrem Herzen“, schreibt er auf, „niemand kann sie Ihnen wegnehmen, es sei denn, Sie übernehmen das selbst, indem Sie jede Nacht ins Prinzenbad einsteigen und die Jugend von heute beim Knutschen stören.“
Martin Reichert plädiert für mehr Ernsthaftigkeit in der Generation 25 Plus, meint aber nicht gleich jeden (was der Titel zunächst suggeriert). „Das ist ein ganz kleiner Teil, der aber relativ viel Lärm verursacht“, sagt er, „das sind Menschen, die auch Zugang zu Medien haben, die auch Bücher schreiben, unter anderem Generationsbücher, die bloggen, die im Internet aktiv sind, also, die sich Gehör verschaffen.“ Martin Reichert ist mit diesem charmanten Buch ein lesbarer Beleg seiner eigenen These gelungen.
(Will nicht erwachsen werden: Die Generation Umhängetasche. „Wenn ich mal groß bin“, Fischer TB, 240 S., 8,95 Euro)
Das hoch gejazzte Manifest dieser Generation haben Sascha Lobo und Holm Friebe vor zwei Jahren mit „Wir nennen es Arbeit“ verfasst. Darin entwerfen die beiden Berliner Autoren ein bestechendes Modell über „Die digitale Bohème oder Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“. Darin geht es nicht um das wilde und exzessive Leben einer laut feiernden, genialischen Künstler-Bohème, was durchaus möglich wäre, bei dem Untertitel. Nein. Die beiden Autoren wollen zeigen, wie technikversierte Freiberufler untereinander vernetzt, frei von festangestellter Firmenbüroarbeit und in kreativer Weise ihre Brötchen verdienen können. – Der Computer ist für die „Digitale Bohème“ bedingtes Schlüsselmedium, den notwendigen Optimismus bringt das Buch sogleich mit. Oft wurde es als Vision für alle arbeitenden Menschen der heutigen Avantgarde und baldigen Zukunft verkauft.
Das ist es aber nicht. Wer in fester Vollzeitanstellung sein Glück gefunden hat, der möge dort auch bleiben, schreiben die Autoren. Gegen die umfassende Vereinnahmung ihrer Thesen können Sascha Lobo und Holm Friebe wenig ausrichten. Es hat ihnen nicht geschadet. „Digitale Bohème“ ist ein viel zitiertes Schlagwort, vergleichbar mit dem ebenfalls nicht zerstörbaren Begriff der „Generation Golf“. Das „Wir nennen es Arbeit“. Manifest hat sich gut verkauft und erscheint nun in einer aktualisierten Neuauflage. Bäcker, Lehrer, Mechatroniker werden von diesem Phänomen vermutlich nicht erfasst – den unterbezahlten Kreativ-Freiberuflern wird es ein innerer Gottesdienst sein, immer wieder zu lesen, weshalb es ihnen in der Prekariatsnische eigentlich viel besser geht.
(„Wir nennen es Arbeit – Die digitale Bohème oder Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“, Heyne, 304 S., 8,85 Euro)
Raus aus dem Prekariat – rein in die Festanstellung geht es mit Markus Albers Sachbuch, das in wenigen Tagen beim Campus-Verlag erscheinen wird. Er verbindet die Annehmlichkeiten freiberuflicher Tätigkeit mit der gemütlichen Sicherheit einer tarifgepolsterten Festanstellung. Markus Albers erklärt, mit welchen Schritten Arbeitnehmer ihre Projekte von Bali oder Balkonien aus erledigen könnten, also mehr Spaß am Leben, mehr Zeit fürs Wesentliche haben.
Die technischen Möglichkeiten sind geschaffen: Während eine Internetstandleitung vor acht Jahren stolze 4.000 Mark im Monat kostete, ist der DSL-Anschluss unserer Tage für kleines Geld buchbar. Durch fortschreitende Digitalisierung und weltweit genormte Dateiformate (beispielsweise PDF) muss kein Dokument umständlich kopiert und zugeschickt, gefaxt werden. Niemand braucht das Firmenarchiv in Fünf-Minuten-Reichweite. Kleine Mobilfunkgeräte können inzwischen mehr, als nur telefonieren und SMS versenden. Blackberry und iPhone ersetzen spielerisch das einst begehrte Eckbüro. Best Buy, die größte amerikanische Elektronikmarktkette, hat auf inzwischen aufs so genannte ROWE-Modell umgestellt. „ROWE steht für ‘Results only work environment‘, zu deutsch: Eine Arbeitsumgebung, in der ausschließlich das Ergebnis zählt“, schreibt Albers, „Mit ROWE gibt es überhaupt keine Anwesenheitspflichten mehr, keine Kernarbeitszeiten und kein Stundenzählen.“
4.000 Best-Buy-Mitarbeiter fügen sich diesem Modell. Und es funktioniert. „Die durchschnittliche Produktivität pro Mitarbeiter stieg um 35 Prozent. Die freiwillige Kündigungsrate fiel um 52 Prozent in der Logistikabteilung und um satte 90 Prozent in der Online-Sparte des Unternehmens. Andererseits stieg die Zahl der unfreiwilligen Kündigungen um 50 bis 70 Prozent. Weil sich unproduktive Mitarbeiter nicht mehr hinter einer Show des Beschäftigt-Aussehens verstecken können, werden sie leichter enttarnt und gefeuert.“ Ist ROWE ein Modell für den deutschen Markt? Wird sich Büroarbeit verändern? Albers sagt „ja“ und liefert interessante Beispiele aus der hiesigen Industrie. Er beschreibt eine Generation, die sich nicht mehr kasernieren lassen will, in schnöden Filialen, vierzig Stunden die Woche, unter Kunstlichtlampen und niedriger Zimmerdecke. Dass alles anders wird, versprechen Albers, Lobo, Friebe, Reichert – und machen, als Avantgarde, eine Menge Lärm. Ob sie für alle, für jeden schreiben, das ist zweifelhaft. Aber die Texte machen Spaß und öffnen den Blickwinkel für ein paar Stunden: bis der eigene Büroalltag wieder beginnt.
(„Morgen komm ich später rein: Für mehr Freiheit in der Festanstellung“, Campus, 220 S., 18,90 Euro)
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