Haben Frauen die gleichen Rechte wie Schweine, Rinder, Insekten? 1792 veröffentlichte die feministische Vorkämpferin Mary Wollstonecraft ihre Schrift „Eine Verteidigung der Rechte der Frauen“. Ihre Argumentation erschien derart absurd, dass Cambridge-Philosoph Thomas Taylor wenige Monate später konterte mit seiner Satire „Eine Verteidigung der Rechte des Viehzeugs“. Nachzulesen ist das in Peter Singers Aufsatz „Alle Tiere sind gleich“ (hier im Original), 1997 abgedruckt im Sammelband „Naturethik“, herausgegeben von Angelika Krebs. Die 1961 geborene Professorin für Philosophie an der Universität Basel fragt im Band, ob die Natur einen eigenen moralischen Wert hat – oder ob sie nur für den Menschen da sei.
Der Sammelband ist unterteilt in zwei Abteilungen – der ökologischen auf der einen und der Tierethik auf der anderen. Letztere Überlegungen beginnen ausgerechnet mit Peter Singer, der in diesem Jahr für heftige Proteste gesorgt hat, weil behauptet wurde, der australische Philosoph spreche Behinderten Babys das Lebensrecht ab. Wer seine Sachen dagegen aufmerksam liest wird vermutlich zu einem anderen Urteil kommen. – Ein halbstündiges Gespräch, das ich mit Angelika Krebs Anfang November in Bern über „Klimawandel als ästhetisches und ethisches Problem“ geführt habe wurde am vergangenen Sonntag gesendet in der Deutschlandfunk-Sendung „Essay & Diskurs“ (hier nachzuhören).
EINS Beginnen wir mit dem letzten Text des Buchs. Die „Naturethik im Überblick“ präsentiert Angelika Krebs. Ihr Spezialgebiet „fragt nach dem ethisch richtigen Umgang des Menschen mit der Natur“, abgegrenzt von der traditionellen Ethik, die „sich auf die Frage des richtigen Umgangs des Menschen mit dem Menschen konzentrierte.“ Die dahinter stehende Forderung: Der Mensch darf die Natur nicht mehr bloß als Ressource betrachten. „Die naturethische Frage nach den ethisch richtigen Umgang des Menschen mit der Natur läßt sich präzisieren (1) zu der Frage, inwiefern Natur zum guten menschlichen Leben, zum menschlichen Glück beiträgt (eudämonistischer Wert der Natur), und (2) zu der Frage, ob die moralische Haltung nur die Rücksicht auf die Interessen aller Menschen oder auch die Rücksicht auf die Natur einschließt (moralischer Wert der Natur).“
Nah an der Betrachtungsweise von Krebs liegt das von Martin Seel eingebrachte Argument, dass Naturschutz auch deshalb geboten sei, weil „die Betrachtung schöner und erhabener Natur für ein gelungenes menschliches Leben“ existentiell ist. Über diesen Aspekt habe ich im Deutschlandfunk-Interview gesprochen und mich gefragt, ob nicht ebenso die Betrachtung erhabener, von Menschen gemachter Innenräume gleichermaßen beeindruckend und existentiell sein kann. „Zunächst einmal spricht die Natur in der Regel alle unsere Sinne an, während Kunstwerke oft einen Sinn privilegieren. Das Zusammenspiel verschiedener Sinne wie dem Tastsinn, der in der Kunst eine nur geringe Rolle spielt, geben der naturästhetischen Erfahrung eine besondere Qualität, die man durch Konzerte oder Museen nicht ersetzen kann.“ Gut, gut. Kommen wir zu den Tieren.
ZWEI „Für die große Mehrheit menschlicher Wesen, besonders in den städtischen, industrialisierten Gesellschaften, findet der direkteste Kontakt mit Mitgliedern anderer Spezies zur Essenszeit statt: wir essen sie.“ Es sind zugespitzte Aussagen wie diese, die dafür sorgen, dass Peter Singer von den einen verehrt, von den anderen verdammt wird. In seinem Text „Alle Tiere sind gleich“ versucht er, Rassismus und Speziesismus (also die Diskriminierung von bestimmten „anderen“ Menschen auf der einen, von bestimmten „anderen“ Spezien auf der gleichen Seite) mit einander zu vergleichen. „Wir werden (…) sehen, daß wir uns auf wackeligem Boden befänden, wenn wir die Gleichheit von Schwarzen, Frauen und anderen unterdrückten Gruppen von Menschen verlangten, nicht aber die Gleichheit von nichtmenschlichen Wesen.“
Er argumentiert, dass Tierversuche ebenso unethisch sind wie Versuche an einem verwaisten Baby, gleichgültig, ob dadurch hundert oder tausend andere Leben gerettet werden würden. Er glaubt, unser Speziesismus sei begründet in der exklusiven, auf die Humanisten der Renaissance zurückgehenden Idee der menschlichen Würde, „beispielsweise auf Pico della Mirandolas Rede über die Würde der Menschen“. Zugleich gäbe es keinen Grund, die Würde von Säuglingen, geistig Behinderten, Psychopathen, Hitler, Stalin „und den Rest eingeschlossen“ über jene eines Elefanten zu stellen. (Original: Tom Reagon/Peter Singer (Hg.), Animal Rights and Human Obligation, Englewood Cliffs 1976.)
DREI „Viele Feministinnen meinen, daß Frauen ein Recht auf Abtreibung haben. Daraus folgt nicht, daß sie, weil sie für die Gleichheit von Frauen und Männern kämpfen, auch das Recht der Männer auf Abtreibung unterstützen müssten. Da ein Mann nicht abtreiben kann, ist es sinnlos, über ein Recht auf Abtreibung zu sprechen. Da ein Schwein nicht wählen kann, ist es sinnlos, über sein Wahlrecht zu sprechen.“ Das schreibt Singer in seinem Aufsatz, der im Sammelband abgelöst wird von Tom Regans’ „Wie man Rechte für Tiere begründet“. Regan argumentiert wesentlich eleganter und weniger konfrontativ – indem er zum Beispiel Singers Utilitarismus vehement ablehnt. – „Wie sollen wir vorgehen?“, fragt er eingangs. „Beginnen wir mit der Frage, was diejenigen, die Tieren Rechte absprechen, zum moralischen Status von Tieren zu sagen haben.
Dann stellen wir ihre Ansätze auf die Probe, indem wir untersuchen, wie gut sie dem Feuer fairer Kritik standhalten.“ Den Ansatz zu schlichter Freundlichkeit gegenüber Anderen, zu Freundlichkeit als qualitative Kategorie verwirft Regan, schließlich gäbe es auch freundliche Rassisten. Der Utilitarismus als Handlungsmaxime wiederum ist ihm zu grausam, denn er würde es billigen, dass ein Mensch ermordet würde, sofern sein Tod vielen anderen Menschen ein besseres Leben ermögliche. „Mein Wert als Individuum ist unabhängig von meiner Nützlichkeit für Sie.“ Er räumt ein, dass Tiere viele Dinge nicht können, die Menschen gelingt, was aber zugleich nicht für alle Menschen gelten mag. Ihm scheint wichtig zu sein, jedes Leben zu schützen, um sich selbst nicht irgendwann auf der falschen Seite wiederzufinden. (Er sieht die Tierrechtsbewegung als Teil der Menschenrechtsbewegung, nicht als ihr Gegenstück.) „Inhärenter Wert kommt somit all denen, die empfindende Subjekte eines Leben sind, gleichermaßen zu. Ob er auch anderen Entitäten zukommt – Felsen und Flüssen, Bäumen und Gletschern zum Beispiel –, wissen wir nicht und werden es vielleicht auch nie wissen.“ Allein: Es gibt auch ein Wahlrecht, ohne dass wir wissen, wer demnächst alles wählen darf. Seine Forderung: Die Abschaffung jeder Nutztierhaltung, des Jagens, Fallenstellens usw. „Klar und kompromisslos.“ (Original in Übersetzung erschienen in Peter Singer (Hg.), Verteidigt die Tiere, Neff, 1986)
VIER Die deutsche Philosophin Ursula Wolf greift in ihrem Text „Haben wir moralische Verpflichtungen gegen Tiere?“ die vorherigen Argumentationen auf und beobachtet, ob die Frage des geeigneten Umgangs mit der natürlichen Umwelt eine Frage des gemeinsamen Eigeninteresses oder eine der „ökologischen Ethik“ ist. Sie stellt fest, dass bereits im Tierschutzgesetz davon gesprochen wird, dass keinem Tier „ohne vernünftigen Grund“ Schmerzen zugefügt werden dürfen, diese „vernünftigen Gründe“ aber sehr lasch ausgelegt werden (Tierversuche sind dennoch gestattet). Sie vermutet, dass diese Auslegungen etwas mit einem spezifischen Verständnis von Moral zu tun haben müssen. Kant war der Auffassung, dass jede Person die gleichen Fähigkeiten hat, z.B. die Fähigkeit, sich aus der „selbst verschuldeten Unmündigkeit“ zu befreien.
Hat er deshalb eine Idee von Gleichheit? Wie sollte diese Gleichheit aussehen? Platon stellte die Philosophen über das gemeine Volk (übrigens auch Martin Heidegger). Dennoch gibt es universelle Güter, wie das Mitleid. Macht das Mitleid Unterschiede? (Ich erinnere mich an eine Freundin, die eine zeitlang nur Fisch aß, weil sie lediglich jene Tiere essen wollte, die sie sich zu töten zutraute – als sie nach Hühnchen und Pute irgendwann auf Rind umstieg, bekam ich Angst.) Wir machen Unterschiede. Kranken Menschen wird geholfen. Unseren kranken Haustieren helfen wir ebenfalls. Warum wird dieses Gebot nicht auf alle Tiere ausgeweitet? Es kann nichts damit zu tun haben, dass die meisten Tiere kein Leid empfinden. „Hinzu kommt ein weiteres Problem, mit dem diejenigen, die Tierversuche mit moralischen Argumenten verteidigen wollen, konfrontiert sind. Wir lehnen gewöhnlich nicht nur Versuche an Personen ab, sondern auch Versuche an Menschen, die keine Personen sind und die daher nach dem Kriterium der Existenzform auf die selbe Weise wie Tiere behandelt werden dürfen.“ Das ist der Umkehrschluss von Singer, der Tiere und Behinderte für seine Argumentation parallelisiert. Gerade WEIL Tiere nicht in der gleichen Weise wie gesunde Menschen vernunftbegabt sind müssen sie geschützt werden. (Original in Zeitschrift für philosophische Forschung 42, Jg. 1988)
[…] Philosophin Angelika Krebs (hier im Blog) ist eine streitbare Person. Für die Deutschlandfunk-Sendung „Essay & Diskurs“ vom […]