Angehende Mediziner studieren Medizin. Spätere Physik-Nobelpreisträger besuchen Physik-Seminare. Der Fotografen-, Musiker- und Malernachwuchs wird an Fotoakademien, Musikhochschulen und Kunstakademien ausgebildet. Und Schriftsteller? Die bringen sich ihr Handwerk selbst bei, zumindest in den häufigsten Fällen. Uwe Timm („Am Beispiel meines Bruders“) hat eine Kürschnerlehre absolviert. Judith Hermann („Nichts als Gespenster“) ist ausgebildete Journalistin. Günter Grass („Letzte Tänze“) war Bildhauer.
Seit ein paar Jahren studieren aber viele Nachwuchsautoren ihr künstlerisches Fach an eigens dafür eingerichteten Hochschulen. Zwar wurde das erste Literaturinstitut in Leipzig als „Johannes R. Becher“-Schule bereits 1955 gegründet. Dennoch wird in der Szene von einem neuen Trend gesprochen, weil die Absolventen dieser Hochschulen anscheinend etwas leichter ihren Karriereweg gehen.
Bestsellerautorin Juli Zeh („Spieltrieb“ bei Schöffling) hat in Leipzig als Diplomschriftstellerin abgeschlossen. Suhrkamp-Genie Paul Brodowsky („Milch Holz Katzen“ bei Suhrkamp) studiert in Hildesheim „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“. Kann man also tatsächlich lernen, anspruchsvolle und erfolgreiche Texte zu produzieren? „Für sicher halte ich es, dass die Bedeutung der Schreibschulen in dem Maße wachsen wird, wie der deutsche Aberglaube abgebaut wird, für einen guten Roman müssten allein ´Genie´ und Inspiration verantwortlich sein“, sagt Juli Zeh im Gespräch. Aber ist es tatsächlich Aberglaube? „Das Gespenst des Fertigbackmischungsromans geht um, vor allem bei Germanisten“, sagt auch Paul Brodowsky, „das geht soweit, dass Juroren von Nachwuchswettbewerben sich mit Aussagen wie: Die Literaturschulen sind der Untergang, zitieren lassen.“ Soetwas verwundert natürlich, wenn man die Erfolge von Zeh und Brodowsky anschaut. „Spieltrieb“ stand zuletzt auf Platz eins der Bestsellerlisten. Das jetzt-Nachfolgemagazin Neon zählte Paul Brodowsky in der ersten Ausgabe 2003 zu den „100 wichtigsten jungen Deutschen“, neben Prominenten wie Charlotte Roche, Franka Potente, Matthias Schweighöfer und Benno Fürmann.
Dennoch bleibt die brennende Frage, ob die beiden Talente nicht ebenso ohne universitäre Hilfe großen Erfolg gehabt hätten. Oder ersetzen die Insitute lediglich renommierte Agenturen wie Eggers&Landwehr oder Graf&Graf, die für Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht oder Florian Illies lukrative Verträge ausgehandelt haben? „Der Professor ist jemand, von dem man etwas lernt, und niemand, der einen an einen Verlag vermittelt“, sagt Juli Zeh, „das mag vorkommen, ist aber weder Ziel der Schule noch der häufige Fall.“
Die Professoren, wie Josef Haslinger („Opernball“ bei S. Fischer) in Leipzig oder Hanns-Josef Ortheil („Die grosse Liebe“ bei Luchterhand) in Hildesheim sind selbst gute Schriftsteller. Und sie unterrichten auch germanistische Grundfertigkeiten. Im Vordergrund stehen jedoch praktische Seminare über „Szenische Künste“, „Kulturjournalistisches Schreiben“ oder „Lyrik“. Um in den Genuss der raren Ausbildungsplätze zu gelangen müssen Arbeitsproben eingereicht, Prüfungen und Vorstellungsgespräche bestanden werden, bevor der Start in eine mögliche Autorenkarriere als „Diplomschriftsteller“ beginnen kann. Gedruckte Bücher, die aus den Federn einstiger Schreibschüler kommen, sind jedenfalls selten schlecht. Als prominente Beispiele auch letzterer Jahrzehnte seien Christa Wolf, Erich Loest, Sarah Kirsch oder Hans Eckardt Wenzel genannt, allesamt Leipzig-Absolventen. Dennoch: „Ein Geheimrezept kriegt man zumindest hier in Hildesheim nicht auf den Weg“, sagt abschließend Paul Brodowsky, „was man aber lernen kann, ist, die Sensibilität für das eigene Schreiben weiterzuentwickeln, kritische Distanz aufzubauen.
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[…] unter „Sehr verehrte Frau Zeh“ angeschrieben, nachdem ich ihren Roman „Spieltrieb“ gelesen und diesen Text geschrieben hatte (zuvor hatte ich „Adler und Engel“ in einem Seminar kennengelernt). Ich […]