„Der Planet Baldasiebenstrichdrei unterscheidet sich doch sehr von unserer Erde: Erstens ist dort alles viel grüner und zweitens werden alle Arbeiten von kleinen Robotern erledigt, die alle gleich aussehen und alle Schlupp heißen.“ Mit diesen utopisch klingenden, „alle Wesen“ betonenden Worten beschreibt der Hessische Rundfunk die Ausgangssituation der auf acht Folgen angelegten Verfilmung des Kinderbuchs Schlupp vom grünen Stern.
Geschrieben hat dieses Buch Ellis Kaut, die Erfinderin des kleinen Kobolds Pumuckl, der lange vor der Fernsehserie Zwei Münchner in Hamburg (1989-1993) das Prinzip „fish out of water“ in BRD-Verhältnisse übersetzte. Als Uschi Glas und Elmar Wepper zwecks Kulturschock in den hohen Norden gelangten, einigte sich das westdeutsche Fernsehkollektiv noch auf eine Nord-Süd-Grenze. Nachwendefilme und -serien erzählten dagegen von Ost-West-Wanderungen (Berlin, Berlin, Go Trabi Go, Unser Lehrer Doktor Specht, Ein Bayer auf Rügen und Herr Lehmann).
Zurück zum Schlupp: Baldasiebenstrichdrei und die Erde trennt in der Verfilmung der Augsburger Puppenkiste keine Mauer, sondern das öde, dunkle All. Während auf der fremden Seite längst der paradiesisch grüne Kommunismus herrscht und Maschinen im Marx’schen Sinne die Fronarbeit der Arbeiterklasse übernommen haben, wird insbesondere im bayrischen Teil der Erde mit Hand und Herz geschafft. Beide Welten, die katholisch bayrische und die technokratisch kommunistische, wären niemals in Kontakt getreten, hätte nicht ausgerechnet der 31.000.000te Schlupp eine Seele entwickelt und damit Stanley Kubricks/Brian Aldiss‘ A.I. bzw. Supertoys Last All Summer Long 15 Jahre vor der Steven Spielberg-Adaption wahr werden lassen.
Dieser kleine Schlupp schaut, wie alle seine Kameraden, wie ein Sputnik mit Armen und Beinen aus. Im Herzen ist er verwandt mit dem kleinen Pumuckl, ein Scherz(ko)bold, der hellwach mit seinen Augen blitzen kann, der programmiert ist, wie später Pixars WALL.E Dinge zu stapeln, der Unsinn im runden Köpfchen hat. Sein immer wieder gern gesungenes Lied in kompletter Länge:
quatsch lie rums botschamschieletzloff lupps dat schwimms katschrummadatsch. girrrksel esch. krummknarrotschseppsoff. durrpssawiedel oma quatsch iesch rumratsch laffsensel bullbog. wimmscheibohrdamsosorbitsch. krammslitromsaltierisulkok. schmarrrn texann dogoldu ditsch
Refrain: wamschidom klammriwamm romudomuedschbeschrom ditschscheiglub semailglub wechzeiwechzeiwadschdub samsiedei didmeisei uchschiewutzen otrabrei ditschwab rrrutschdobb berrrrrgelberrrgelschwamm
Es ist nie vorgesehen gewesen, dass ein Schlupp (Plural: Schluppe) menschliche Fähigkeiten wie denken, dichten, singen entwickelt, weshalb die Techniker von Baldasiebenstrichdrei beginnen, über die Menschwerdung ihrer Maschine zu diskutieren. Dieses Gespräch wird vom Baldaischen ins Deutsche übersetzt. Dabei rollen die Techniker des grünen Planeten ihr „R“ wie Klischeerussen der James Bond-Serie. Es ist ein „R“ das seltsamerweise nicht gehört werden konnte, 2001, bei Wladimir Putins Rede im Deutschen Bundestag. Nur Wladimir Kaminer verfällt, in seiner Rolle als Russe, in diese Sprachmarotte.
Die Künstliche Intelligenz wird entsorgt, hinausgeschossen ins All. Die verbliebenen Dienstleister des fernen Planeten lassen sogleich ihr Schlupp-Förderband neu anlaufen, um weitere Maschinensklaven zu erschaffen. Alles scheint in bester Ordnung. – Durch eine fehlerhafte Abschusseinstellung landet der denkende Schlupp nicht auf dem Müllplaneten, sondern auf „Terra 1“, uns besser bekannt als DIE ERDE. Er landet, ebenso wie sein Geistesverwandter Pumuckl, in Bayern, in einem beschaulichen Nest, in dem der Kapitalismus ein vorindustrielles Antlitz hat. Es gibt keine Fabriken, keine Supermärkte, keine Entfremdung. Die Menschen arbeiten in grundständischen Berufen, verdienen ihren Unterhalt als Schreiner, Schlosser, Bauern. Die Holzhacker ziehen wie eine fröhliche Arbeitsbrigade mit einem Lied auf den Lippen in den Wald: „Auf, auf, auf. Auf geht‘s, auf geht‘s auf geht‘s. Jetzt geht‘s auf: Der Franz, ja der sägt. Der Hans, ja der schlägt. Der Siggi, der drückt. Das Bäumchen, das Bäumchen, das liegt.“ – Im Kapitalismus tragen die Arbeitskräfte Eigennamen.
Schlupp, ein reiner Tor wie Parzifal, wird nun acht Folgen lang die bayrische Gemütlichkeit kennenlernen. Er freundet sich an mit dem jungen „Schraubentüftler“ Beni, der ein Herz für Maschinen hat, der Schlupp wie sein Patenkind beschützt, vor den blinden Erwachsenen, die den Roboter als Staubsauger, Milchkanne oder Scherzartikel identifizieren, anstatt in ihm das zu sehen, was er ist: Ein kleines, hilfsbereites Lebewesen, das sich strikt an die Robotergesetze von Isaac Asimov hält, also keinen Menschen verletzt oder verrät, zugleich aber frei ist in seinen Entscheidungen, solange den ersten beiden Gesetzen, dem Menschen nicht zu schaden und seinen Befehlen zu gehorchen, nicht widersprochen wird.
Doch Schlupp gerät immer wieder in Gefahr: Weil ihn Menschen sabotieren, für ihre Zwecke einspannen wollen – und weil die „Computerköpfe“ auf Baldasiebenstrichdrei irgendwann feststellen, dass ihr anthropomorphisierter Roboter keineswegs vernichtet, sondern in bester Laune am Leben ist. Deshalb schicken sie Abgesandte auf Terra 1, um dem kleinen Kerl den Garaus zu machen… Ellis Kaut hat eine Kindergeschichte entworfen. Wie sie das gemacht hat, ist wenig bekannt. In ihrer Autobiografie Nur ich sag ich zu mir (LangenMüller, 2009) geht es dem Untertitel entsprechend um mein Leben mit und ohne Pumuckl, als Schauspielerin, Fotografin, Schriftstellerin. Der Schlupp kommt nur am äußersten Rande vor.
Doch so viel kann gesagt werden: Ellis Kauts Erzählung einer Maschine, die ebenso wie Windows 7, das neue iphone-Betriebsprogramm, der Euro-Rettungsschirm oder Börsenalgorithmen nicht das macht, wofür sie vorgesehen ist, berührt selbst 25 Jahre später, blindlinks, nicht nur aufgrund des Kindchenschemas, nach dem der kleine Schlupp konstruiert wurde. Mit dem Schlupp als Fernsehereignis verbunden sind Adventssonntage in den Jahren 1986 und 1987. Doch wovon diese Geschichte erzählt, bleibt anrührend und wahrhaftig. Selbst mein siebenjähriger Sohn hat gelacht, als ich ihm die erste Staffel vorspielte. „Das ist alles so echt“, sagte er mir, „nur die Fäden stören“.
Dass diese Fäden seine und meine Erinnerung irgendwann verbinden werden, erfährt er spätestens dann, wenn er seinen eigenen Kindern diese Maschinenfabel zeigt, die als Kunstmärchen vielleicht noch in jenen Zeiten tradiert wird, wenn nicht nur der Kommunismus, sondern auch der Kapitalismus überwunden ist.
Lesungen mit Jule D. Körber, Phin Spielhoff und mir finden statt am 29. Oktober 2013 (Duisburg/Grammatikoff) und am 30. Oktober (Essen/Banditen wie wir)
[…] und “Teneriffa” – es wird Schleckmuscheln geben und ein Wiedersehen mit Schlupp vom grünen Stern. In dieser Woche bereit erschienen ist mein Text über “Sport im Nibelungenlied” in […]
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