Heute spielt die Deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Brasilien gegen Portugal. Wer zwischenzeitlich, also zwischen Abpfiff und Anpfiff oder in den Halbzeitpausen literarisch unterhalten oder tiefer informiert werden mag, greift zu diesen Büchern aus dem LesenmitLinks-Pool – mit Hooligans, Rainer Calmund, koksenden Stars der spanischen Liga und Jimmy Fallon.
Nick Hornbys Fußball-Autobiographie „Fever Pitch“ (KiWi-Verlag, 2013 neu übersetzt) kam in England und Deutschland 1992 auf dem Markt. Verlockend: Es sind gleich zwei Verfilmungen erschienen. Einmal mit Colin Firth, rough und etwas am Rande der klassischen „Romantic Comedy“ – dann nochmal in den USA, mit dem grandiosen Jimmy Fallon (der sich seit 2011 mit seinen Rap-Medleys, die er gemeinsam mit Justin Timberlake präsentierte, unsterblich gemacht hat). In der amerikanischen Fassung wurde Fußball gegen Baseball getauscht, Drew Barrymore spielt mit. Damit hat sich dieser Film ein bisschen weiter vom „Fever Pitch“-Buch entfernt.
Der Roman selbst ist unmittelbarer, grätscht weiter rein. Man kann durchaus sagen, dass 1992 das Jahr war, in dem England literarisch in Sachen Fußball mit Deutschland gleichzog. Denn bislang war es so wie immer, wenn es um England, Deutschland und Fußball geht – wir hatten stets die Nase vorn. Bereits in den 20ern mit Fußballromanen wie „Klapperzahns Wunderelf„. Es gab (auch wenn hier Fußball eher Nebensache war) „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ und eines der bekanntesten deutschen Gedichte archiviert „Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968„. Ab 1992 haben die Briten stramm dagegengehalten und ein Fußball-/Hooliganbuch nach dem nächsten auf den Markt geworfen, ganz weit vorn David Peace mit „Damned United“ und John King mit „The Football Factory“.
Mitreden gelingt mit den Sachbüchern von Christoph Biermann, von denen ich zwei hier und hier im LesenMitLinks-Blog vorgestellt habe: „Die Fußball-Matrix“ begeistert mit Essays, beispielsweise über den Einfluss der Videospielkultur auf einzelne Spieler. Playstation-Narr Lionel Messi, der selbst an der Konsole nur Fußball spielt, wählt stets das eigene Team. “Der beste Spieler der Welt spielt also in einem Videospiel seine Mannschaft“, heisst es im Buch, “spielt er auch sich selbst?“ Und Messi nickt. “Das Faszinierende ist ja, dass Messi Messi spielt, also, mit sich selbst auf der Playstation und dabei mit der Figur Messi Tricks ausprobiert, und dort Sachen schafft, die er auf dem realen Platz als Messi noch gar nicht hinbekommt, also seinen Kunstmessie nachspielt”, sagt Christoph Biermann. “Eine besonders verblüffende Vorstellung von Identitätsverknotung.“ – Faktenbasierter, für alle Tabellenberechner ist „Alles über 50 Jahre Bundesliga“. Dort werden unter anderem aufgelistet: das weiteste Weitschusstor (Giorgios Tzavelas, Eintracht Frankfurt, am 12. März 2011 bei Schalke 04), Zweideutiges für die Brüdelefraktion (Rainer Calmund: “Rudi Völler wird weiterhin unsere Infrastruktur samt Sekretärin nutzen können.”), Himmelausrichtungen aller Stadien, Dauerwellen und Pornobalken etc.
Barcelona im Jahr 1988 spielt dieser Roman, der „unverkennbar und unvergleichlich“ ist, laut Krimi-Couch: Detektiv Carvalho recherchiert im Fußball-Milieu, nimmt dabei etliche Diskurse der kommenden anderthalb Jahrzehnte vorweg. Ein Star wird bedroht, literarische Drohnoten erreichen den größten Verein von Kataloniens Capitol City: „Weil Ihr Euch die Funktion der Götter anmaßt, die in alten Zeiten das Verhalten der Menschen gelenkt haben, aber keinen übernatürlichen Trost bietet, sondern nur die irrationalste Schreibtherapie: Deshalb wird der Mittelstürmer ermordet werden, wenn es Abend wird.“ (13) Carvalho ermittelt Undercover, hat offiziell „eine Genehmigung, eine Studie über ‚Gruppenpsychologie und sportliche Vereinigungen‘ durchzuführen.“ (17) Der kochende, dem Kulinarischen zugeneigte Ermittler trifft dort auf einen Vereins-Pressesprecher, der nichts mehr vom Bolzplatz der 70er in sich trägt, sondern stattdessen beim edlen Essen über die wahre Verfeinerung parliert: „Als Uhr eine Vacheron Constantin oder eine IWC, den Trenchcoat von Burberrys, wie ihn Dustin Hoffman trägt, Koffer von Vuitton, Eu de Toilette Alvarez Gómez, Porzellan aus Limoges, selbstverständlich – woher sonst? Englische Schuhe, und vor allem aus dem Hause Upper and Lining, Chanel No5 für die Damen, daran ist nicht zu rütteln, Taschen von Loewe, Halstücher von Hermés, mit dem Feuerzeug bleiben wir bei Dupont….“ (99)
Dieser westlichen Dekadenz stehen arabische Kriminelle gegenüber, die ihre eigenen Pläne mit dem Westen haben: „Allah ist groß, und wir Söhne Allahs sind auserwählt, die Welt wieder zur Vernunft zu bringen. Vor zwanzig Jahren hätte keiner auch nur tausend, nicht einmal hundert Pesetas für einen Araber gegeben. Heute zittert die Welt vor uns. Denkt an Khomeni oder an die reichen Araber, die alles aufkaufen, die euch alles wegkaufen! Sogar den Berg, auf dem du wohnst, haben sie gekauft, den Tibidabo. Das Wort ist ganz sicher arabisch. Alles spanischen Ortsnamen sind arabisch.“ (138) Somit ist „Carvalho und der tote Mittelstürmer mehr als ein Thriller aus dem Sportmilieu, sondern vielmehr eine frühe Analyse der ekelerregende Formen annehmenden Postpostmoderne in einem überhitzten Land, das langsam dem Abgrund entgegen schlittert. 2004 gab es in Madrid mehrere Zuganschläge. Zehn Jahre später kassiert der Brasilianer Neymar obszöne 100 Millionen in Barcelona. Das Land steht am Abgrund. Staat Brot und Spiele nicht einmal ersteres. 4,8 Millionen Spanier haben weiterhin keinen Job. Eben diese Entwicklungen sind alle vorhergesehen in dem superben Krimi des 2003 in Bangkok verstorbenen Manuel Vázquez Montalbán: „Carvalho und der tote Mittelstürmer“, Wagenbach, 254 Seiten, 11,90 Euro)
[…] den vergangenen Jahrzehnten weiter ausgefächert: Vom mediterranen Noir-Genre (Andrea Cammilleri, Manuel Vàzquez Montalban) über explizit französische Noir-Thriller wie Sébastien Japrisots „Mord im Fahrpreis […]
[…] ab ab 1960er und 70er Jahren den Fußball. Aber ein literarisches Pressing wie heutzutage (hier und hier und hier im LesenMitlinks-Blog) war […]
[…] bei Suhrkamp. Spielern wie Welbeck, Junior Diaz, Borges erinnerten an Titanen des Literatur. Auf LesenMitLinks und im Freitag schreibe ich dieser Tage über Fußball und bevor es morgen ein (literarische) […]