Die Leipziger Buchmesse beginnt und die Literaturszene steht in Unfrieden beisammen, weil in den vergangenen Wochen jeder jeden beschimpft hat und man kaum noch rauskommt aus den Biller-Hybridwesen-Gegenwartsliteratur-Migranten-Mosebach-Aufrgegerdiskursen. Aber vielleicht stehen am Donnerstagabend auch alle bei der Tropen-Party brav beisammen und haben sich furchtbar lieb. Ein Blick zurück, bevor wir alle anstoßen:
Inzwischen hat wirklich jeder über die unsäglichen Äußerungen von Sibylle Lewitscharoff, geschrieben (Peter Praschl hat sich gleich aus allen Diskursen geschlichen – man kann ihn verstehen.) Der Suhrkamp-Verlag, distanzierte sich gar von seiner Autorin. Wirklich gut und weniger hysterisch sind dieses 3sat-Interview mit Robert Koall (Bild), der Essay vom Wuppertaler Pastoralreferent Dr. Werner Kleine, der die Sache mit der Onanie nochmal theologisch bearbeitet. Sehr schön auch Sascha Lobos Facebookpost unter Porsche-Poschardts „Beruhigt Euch“-Thesen (der aber auch in Richtung Matthias Matussek und Patrick Bahners geht). Sascha Lobo schrieb:
„Ja, etwas völlig übersehen. Nämlich dass Ihr subjektiver Eindruck, wann es jetzt mal gut sei mit der Empörung eben allein ihr eigener ist und sehr stark von der eigenen Filterblase, bzw. besser: dem Medienkonsum und der Interessenlage abhängt. Er hat keinerlei Gültigkeit für den Rest der Gesellschaft. Ist aber nicht allein Ihre Schuld, Herr Poschardt, sondern ein altes Phänomen der sozialen Medien. Gedankenexperiment mit Zeitreise: wie lange dürfte man sich heute über, sagen wir unverfänglich, den Mauerbau aufregen, bevor die ersten Leute twittern würden: Och jee, kommt mal runter, Mauer, so what? 24 Stunden? 48? Oder eine volle Woche?“
Wie schlau ist dagegen dieses FAZ-Portrait über Diogenes-Verleger Phillipp Keel: „Sprechen, reden, sich Zeit nehmen. Was einfach klingt, hält der Verleger für ein Rezept für unsere Zeit, gemäß seiner Devise: ‚Simple doesn’t have to mean easy.‘ Damit lasse sich auch die digitale Suchtphase bekämpfen, die unsere Welt ergriffen hat“, sagt er, ohne gestrig zu wirken und kommt so viel cooler daher als die geradezu biestig gegen Hanser austeilende Wagenbach-Verlegerin Susanne Schüssler, der man einfach ein bisschen digitale Cleverness entgegensetzen will. Mit Mikrotext, Frohmann, Shelff im Suhrkamp-Logbuch. Das ausgerechnet jetzt De:Bug aufgibt ist fatal.
Wir suchen Ihr Manuskript: Die edition blaes, der „kleine Verlag am Ammersee“ (links: Autorin Daniela Dill) hat eine interessante Kalkulation öffentlich gemacht hat. Es geht um Zuschussverlage, über die ich hier und hier 2013 geschrieben habe (und vor denen man ohnehin nur warnen kann). Das Verlustgeschäft, das Autoren bei den drei dargestellten Varianten eingehen, ist immens. Sie selbst zahlen für ihre Belegexemplare je nach Rechnung zwischen 229,63 und 609,69 Euro – pro Buch! Der sichere Gewinn des Verlags liegt dagegen zwischen 7524,00 Euro und 12895,59 Euro, während der Autor mehrere tausend Euro verliert. In Zeiten von Selfpublishing und Book on Demand ein Wunder.
In eigener Sache: Am Freitag hat Nora Gomringer in 1LIVE Klubbing aus Monster Poems gelesen, das Moderator Ingo Schmoll (Bild) und ich in Plan B abgefeiert haben (hier nochmal nachzuhören). Die Lesung gibt es hier auf 1LIVE.de. Zu Klubbing kommt Ende der Woche Spider mit seinen Lesebühnentexten und am Sonntag sendet 1LIVE Shortstory zwei Geschichten von Daniel Klaus. Auf LesenMitLinks gibt es neue Texte über Sven Regener, Die Wanderhuren und Debütant Fabian Hischmann. Für den Freitag habe ich über die fünf Romane geschrieben, die für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert sind. Und seit gestern sind hier Jo Lendle-Wochen.
Die Idee zum Iron Blogging stammt vom MIT und ist ganz einfach: alle Blogger verpflichten sich, in ihrem Blog mindestens einmal in der Woche zu bloggen, andernfalls müssen sie einen Betrag (hier in Deutschland meist 5 €, in den USA 5 $ und in der Schweiz im Moment 10 Fr.) in die Bierkasse einzahlen. Ist die Bierkasse voll genug, so wird sie gemeinsam durchgebracht. Charlotte Reimann und Leander Wattig haben im August die „Iron Buchbloger“ gestartet und weil ich gerne Bier trinke bin ich seit dieser Woche auch dabei. Allerdings muss man nur einen Euro zahlen. Auf der re:publica 2013 haben die deutschen Kollegen einen Vortrag dazu gehalten.
Konsuminventur
Mit Geschichten (die Litfutur 2013 aufgegriffen hat) geht es weiter und „The Art of Storytelling“ (Bild). Seit „EDEKA Supergeil (feat. Friedrich Liechtenstein)“ ist der Storytelling-Boom allgegenwärtig. Suhrkamp war noch eher da: „Was die Leute mit ihrem Becher tatsächlich kaufen, ist eine Auszeit, die Starbucks mit allen Mitteln des Neuromarketings inszeniert: ‚Die Wörter casi cielo bedeuten: fast (wie der) Himmel‘. (…) Dazu kommt ein perfektes Raum-Storytelling, das in einer Liga mit dem der Apple Stores oder Abercrombie & Fitch spielt. Es ist ruhig, der Mitarbeiter freundlich und persönlich, die duftende Atmosphäre gedämpft. Flickr und Instagram quellen über von Starbucks-Fotos.“