Linkradar: Metablogs, Teddybären, Klaus Kastberger und Amore

Es sind beunruhigende Zeiten – die Stimmung im Land wird von Umbarmherzigkeit geprägt. Dass Dichter, Autoren, Denker wie Botho Strauß, Martin Mosebach, Thor Kunkel, Rüdiger Safranski und Akif Pirincci sich bei den besorgten Bürgern, den Menschenhetzern und Rechtsterroristen anbiedern kann man nur mit Sorge betrachten. Zu dem Thema erscheint Sonntag in einer Woche ein einstündiges Feature von mir im Bayern 2-Zündfunk. Versuchen wir, mit Herz dagegen anzugehen, Das sehr rührende Beitragsbild zeigt Amanda Palmer, Lyrikerin und Mitglied von The Dresden Dolls, wie sie während des Boston Book Festival ihr Baby stillt. Fotografiert wurde sie von Maria Popova, um die es in diesem Linkradar ebenfalls gehen wird.

Kastberger_Klaus-5786_(18263133368)Eins zu Null: Ich mag beide, Klaus Kastberger (Bild), der 2015 in Klagenfurt eine gute Figur gemacht hat, aber auch Daniel Kehlmann. Jetzt hat Kastberger behauptet, „Die Vermessung der Welt“ sei aus der Wikipedia abgeschrieben. Blöd nur, dass Kehlmann nachgeforscht hat. Es gibt diesen Vorwurf in der Wissenschaft nicht – tatsächlich verweist der von Kastberger in Anschlag gebrachte Aufsatz auf die große Diskrepanz zwischen Wahrheit und Fiktion im Humboldt-Roman. Mehr dazu hier und hier in der Welt und der taz.

182820_151024421747265_667881053_nMetablog: Ein Buchrücken-Quote von Maria Popova (Bild: Facebook) ist inzwischen wichtiger als eines von der NY Times. Von ihrem kuratierten Metablock „Brainpickings“ kann sie inzwischen ganz gut leben. Mit „lit.21“ ist nun in Deutschland ebenfalls ein Metablog gestartet – kuratiert vom Perlentaucher. lit21.de bündelt den Feed von literarisch relevanten Blogs, Zeitungsadressen und anderen Quellen deutscher Sprache. In die gleiche Richtung gehen der „Verlagsreport“ und auf Blogs beschränkt „Book-Hub“.

664349_828197870528160_1697144423_oDie Juroren des 23. open mike haben entschieden: Die Preise für Prosa gingen an Jessica Lind (Foto: Facebook) und Theresia Töglhofer, der Lyrikpreis an Andra Schwarz, der taz-Publikumspreis an Philip Krömer.  DailyFrown fasst hier zusammen (und präsentiert die besten Tweets): Auf ZEIT ONLINE boykottiert Wiebke Porombka die Gewinner und räumt ihrem Lieblingstext viel Raum ein; Angela Leinen denkt in der taz über Professionalität und harte Juryarbeit nach. (…) Wenig Überraschendes, einzig Cornelius Wüllenkemper gerät im Deutschlandfunk etwas außer Fassung angesichts der tatsächlich diskussionswürdigen Juryentscheidung und watscht neben Jan Brandt (“reichlich beliebige Begründung”) auch gleich noch einen Großteil der Autoren ab (“viel vergeistigtes Gefasel”).

220px-Screen_Freitag.deParty! – Denn der Freitag ist nun 25. Für die Jubiläumsausgabe habe ich mich hier beschäftigt mit Vorschaukatalogen, denn: Zweimal im Jahr schicken Verlage ihre vierfarbigen Vorschauhefte mit den Neuerscheinungen der kommenden Monate. Vorgesehen sind diese eigentlich für Buchhändler, doch als Werbe- und PR-Maßnahme werden Journalisten auf die gleiche Weise informiert. Die Kataloge geben einen mal schauderhaften, dann wieder höchst entzückenden Ausblick. Es ist ein bisschen wie bei Woyzeck – jeder neue Stapel erscheint als Abgrund. Es schwindelt einen, wenn man hinabsieht. Anderthalb Meter misst so ein Vorschauturm. Alles muss „gesichtet“ werden. Eilfertige Medien schreiben einen Feuilletonaufmacher mit den „wichtigsten Büchern der kommenden Saison“, selbstverständlich auf Katalogbasis. Deshalb lassen renommierte Autoren Anzahl und Positionierung ihres Buchs im Vorschaukatalog bei den Verhandlungen gleich mit in den Vertrag schreiben.

4FqQYy48QS2O6kDuIHva_9783945370049Mit dem Buzzer zum Buch: Zu den interessantesten Neugründungen der letzten Zeit gehört der Guggolz-Verlag. „Mit Neuübersetzungen und Neuausgaben vergessener und zu Unrecht aus dem Fokus geratener Werke richten wir uns an diejenigen Leser, die bei ihrer Lektüre bereichert werden wollen. Mit aktuellen Nachworten und durch ergänzende Kommentierung soll die in die Literatur eingegangene historische, politische, kulturelle und sprachliche Vielfalt wieder lebendig gemacht werden.“ So steht es auf der Homepage. Die Berliner Zeitschrift „tip“ berichtet hier, wie der Verlag finanziert wird – nämlich überaus kurios. Sebastian Guggolz will die Kohle über Fernsehquiz-Gelder reinholen. Verrückterweise klappt das sogar. Gerade hat er eine viertel Million gewonnen bei „Der Quiz-Champion 2015“. Sein nächstes großes Ziel: „Wer wird Millionär“.

wpid-fb_img_1437761883451Wenn man was am Kopp hat: Kein so glückliches Händchen wie dem Kollegen von Guggolz wünscht man all jenen Verlagen, die sich gerade an der Wutbürger-Hetze beteiligen und daraus Kapital schlagen. Das ZDF hat hier eine der Verschwörungstagungen besucht und zu erinnern ist an diesen Kommentar von Kurt Kisters, der erklärt, warum Pegida nichts mit Vaterland und unserem Nationaldichter zu tun haben kann. Mehr über die Hintergründe erzählt Christian Schröder hier bei Lesart. Er hat sich intensiv mit

2014-05-10_Akif_Pirinçci_IMG_1437diesen Verlagen beschäftigt, deren Autoren rechtsradikales Gedankengut verbreiten und unangenehm durch Fremden,- Schwulen- und Frauenhass auffallen. Im Deutschlandradio Kultur erzählte er, dass etwa Thomas Hof, Gründer des Manuskriptum Verlages, ursprünglich Landesgeschäftsführer der Grünen in Nordrhein-Westfalen war. „Er betreibt mit seiner Firmengruppe einen Bio-Bauernhof und Forstwirtschaften und driftete immer weiter nach rechts. Er schreibt seit einiger Zeit für das neorechte Magazin ‚eigentümlich frei‘.“ Seinen Manuskriptum-Verlag habe er immer mehr zum „rechten Kampforgan gegen Political Correctness aufgebaut“, sagt Schröder. (Das Bild rechts zeigt Akif Pirinçci bei einer Podiumsdiskussion anlässlich einer Lesung seines Werks Deutschland von Sinnen im Brückenforum in Bonn.)

Pausenvideo

„Immer im Oktober ist wieder Deutscher Herbst. Jedes Jahr ist wieder Nacht von Stammheim und alle zwei Jahre schaue ich wieder nach: Wie war’s genau gewesen im Oktober, mit den Tagen des Todes, der Politik, Wartburg-Fest und Schlacht von Leipzig? In den Tagen der Geburt. 17. Oktober Büchner. 10. Oktober Kleist geboren. Dazwischen in der Nacht: Die Toten von Stammheim.“ In einer fulminanten Rede zum Büchner Preis 2015 hat (hier nachzuhören) Rainald Goetz, über den ich hier und hier geschrieben habe, sein Werk in 25 Minuten zusammengefasst: Jugend-Rebellentum und Echtzeit-Schreibe, die Rote Armee Fraktion und Punk, Ich-Verlust im Zeitalter der Ökonomie der Aufmerksamkeit, beendet mit einem Zitat der Wiener Schlagergruppe Wanda: „Wenn jemand fragt wofür du stehst, sag für Amore, Amore!“ Wichtigste Büchner-Preis-Rede seit 1970, als Thomas Bernhard wütete.

Konsuminventur

xxxxDie Schönheit des Konsums: Bei Facebook kursieren seit vielen Monate die absurdesten Videos über Herstellungsprozesse, die uns allen die Schönheit dieser globalisierten Warenwelt präsentieren.Es gibt den Thailändischen Eiscreme-„Master“, die Turbobügler, Freestyle-Autowäscher, den schnellsten Koch Japans und den chinesischen Zuckerkünstler. Schöner sind jene Videos, die zum Beispiel die Cappuccino-Gemälde (Bild) persiflieren, wie in diesem grandiosen Stück oder dieses Video, das zeigt, wie man ein perfektes Auge malt (nicht).

Jan Drees

Ich bin Redakteur im Literaturressort des Deutschlandfunks und moderiere den „Büchermarkt“.

Im Jahr 2000 erschien mein Debütroman „Staring at the Sun“, 2007 folgte ein überarbeiteter Remix des Buchs. Im Jahr zuvor veröffentlichte der Eichborn-Verlag „Letzte Tage, jetzt“ als Roman und Hörbuch (eingelesen von Mirjam Weichselbraun). Es folgten mehrere Club-Lesetouren (mit DJ Christian Vorbau). 2011 erschien das illustrierte Sachbuch „Kassettendeck: Soundtrack einer Generation“, 2019 der Roman „Sandbergs Liebe“ bei Secession. Ich werde vertreten von der Agentur Marcel Hartges in München.

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