Am Ende jedes Jahres liegen in meiner Wohnung viele halb- und komplett gelesene Bücher, mit beschriebenen Karteikarten, einige im Radio besprochen, andere für den LesenMitLinks-Blog vorbereitet: aber es hat sich bislang nicht ergeben, einzelne Rezensionen zu schreiben. Deshalb gibt es jetzt einen Kurzüberblick des Liegengebliebenen, ein paar literarische/persönliche Highlights der vergangenen zwölf Monate im Schnelldurchlauf mit Bildergalerien, 1LIVE-Beiträgen, Plänen und Verworfenem.
Eines der erheiterndsten Bücher ist dieser Gedichtband von Nicolas Mahler aus dem zu Suhrkamp gehörenden Insel-Verlag (der im Sommer 2013 ein Insolvenzverfahren beantragen musste). Möglicherweise sind Mahlers humoristisch-melancholisch gestimmten Bilder beste Begleitillustration zur überaus verworfenen, verworrenen, teilweise trübsinnigen Verlags-Soap-Opera. Jedenfalls wurden die Gerichtsverfahren zwischen Verlegerin Ulla Berkéwicz und Gesellschafter Hans Barlach im Feuilleton als tragische Komödie aufgeführt mit etlichen „Showdowns“, auch zwischen dem neuen verantwortlichen Redakteur der „Literarischen Welt“ und dem FAZ-Herausgeber)
Sam Shepard ist hier aufgrund seiner Rollen in Filmen wie Homo Faber und Black Hawk Down bekannt. Im Herbst erschien sein brillanter Kürzestgeschichtenband „Drehtage“ (Fischer, übers. v. Uda Strätling, 19,99 Euro). 300 Seiten hat das Buch. Präsentiert werden 132 impressionistische Geschichten, von denen einige nur wenige Sätze lang sind. Sie spielen an Highways, in Motels und erzählen sehr schroff vom weit ausgedehnten Land. Sie spielen im 19. Jahrhundert bei den Mormonen, in den 50ern bei Beatpoet Jack Kerouac und im Jetzt, wenn einem Sterbenden Shania Twain erscheint. Amerika in der Nussschale quasi – ohne N.S.A.
Habe ich ein Buch beendet, schreibe ich es in meinem Leseliste. Was nicht bis zur letzten Seite beendet wurde, gilt nicht. Vollkommen „ausgelesene“ Bücher des Jahres 2013, an die ich mich selbst Ende des Jahres noch gern erinnere (Teil 1): Willi Harwerths „Kleines Pilzbuch“, Björn Kuhligks „Die Stille zwischen Null und Eins“, Michael Krüger: „Was tun?“, Inger-Maria Mahlke: „Rechnung offen“, Jonas Lüscher: „Frühling der Barbaren“, Jesús Carrasco: „Die Flucht“, Jochen Schmidt: „Schneckenmühle“, Laurie Penny: „Fleischmarkt“, Hartmut Lange: „Positiver Nihilismus“, die Anthologie „Wer kann für böse Träume – The Secret Grimm Files“. Isabella Straub: „Südbalkon“ (Bild).
Ian Mc Ewans Spionagethriller „Honig“, erzählt die Geschichte der sehr hübschen Mathematikern Serena Frome, die in einen MI5-Skandal der 70er Jahre verstrickt wird. Während ihres Mathematikstudiums landet sie beim britischen Geheimdienst MI5, wo sie den jungen Autor T.H, Haley anwerben soll. Wer „Honig“ liest muss sich gefasst machen auf Sexphantasien mit Günter Grass, dem deutschen Literatur-Nobelpreisträger. Es geht um Lügen, Verrat, doppelte Spiele – wie vom Genre zu erwarten. Aber auch um Liebhaber mit spitzem Schambein, um Karrierewege einer Frau im England der 70er, um offenen Sexismus, Zickenkonkurrenz und um literarische Perversionen. (Diogenes, 464 Seiten, 22,90 Euro). – Hier geht es zum 1LIVE Plan B-Beitrag mit Christiane Falk
Niedlich klingt dagegen ein Forschungsprojekt des Fraunhofer Instituts, das 2013 nach Möglichkeiten gesucht hat, E-Books mit einem Kopierschutz zu versehen (unterstützt unter anderem vom Börsenverein und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung) und zwar durch „textliche Änderungen im Originaltext“. Schöner Kommentar meiner Lieblingspostille De:Bug: „Twix statt Raider ihr wisst schon. 100.000 Germanisten verlieren ihre Habilitationsmöglichkeiten. Apropos, wer ist dieses Jahr eigentlich aus dem Bundestag geplaggt worden?“ Hier gibt es einen guten weiterführenden Text zum so genannten SiDiM (“Sichere Dokumente durch individuelle Markierung”).
Beendete Bücher des Jahres 2013, an die ich mich gern erinnere Teil 2: Nora Gomringer: „Monster Poems“ (unbedingt dieses Seite ansehen), Georges Rodenbach: „Brügge, tote Stadt“, Jess Walter: „Schöne Ruinen“, Mark von Schlegell: „Dreaming the Mainstream“, Maarten ‘t Hart: „Unterm Deich“, Abbas Khider: „Brief in die Auberginenrepublik“, Shahin Najafi: „Wenn Gott schläft“, William Vollmann: „Europe Central“, Niklas Luhmann: „Ökologische Kommunikation“, Joachim Bessing: „untitled“, Peter Hook: „Unknown Pleasures“, Carmen Sánchez: „Kunst und Erotik in der Antike“, Wolfgang Ullrich: „Alles nur Konsum“, Ulrich Gutmaier: „Die ersten Tage von Berlin„, Anselm Lenz, Tino Hanekamp, Alvaro Rodrigo Piña Otey: „Das Ende der Enthaltsamkeit„.
[…] Einige Leserkommentare der ZEIT sind ein weitere Grund, Elisabeth Elens (Beitragsbild oben) Shortstoryband „Die letzte Amerikanerin“ zu lesen: „Vielen Dank für den Einblick in ein Buch, das ich mir sicher nicht einmal gebraucht auf dem Flohmarkt kaufen werde.“ Dazu der redaktionelle Hinweis: „Gekürzt. Bitte achten Sie auf eine angemessene Wortwahl. Danke, die Redaktion“. Oder auch: „Muss man denn jedem SCHUND hier ein Plattform bieten? Unbegreiflich.“ – „Und immer noch habt Ihr Literatur nicht verstanden.“ Andreas Thamm und Juli Zucker haben auf ihrem „Derm“-Blog eine sehr kluge Rezension veröffentlicht. Die Storys sind uramerikanisch, die junge, weibliche Antwort auf Sam Shepards “Drehtage”. […]
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