Vor einer Woche endete die Frankfurter Buchmesse und für den ausgezeichneten Roman von Frank Witzel (hier im Blog) gibt es inzwischen 40.000 Vormerker. Die meistgeklauten Bücher der Messe hat traditionell das Börsenblatt hier zusammengestellt. Nicht unterschlagen werden soll, dass der jamaikanische Schriftsteller Marlon James für seinen Bob-Marley-Roman „A Brief History of Seven Killings“ den Man Booker Prize bekommen hat. Über Akif Pirincci habe ich an dieser Stelle bereits alles geschrieben. Den Platz im Linkradar räumen wir lieber den absonderlichsten E-Books ein, die hier vom SZ-Magazin zusammengestellt wurden. (Das Beitragsbild zeigt von links nach rechts Felix Wegener, Wibke Ladwig, Stefan Mesch, Nora Gomringer und mich bei Podiumsgespräch über Literaturkritik, Feuilleton und Haul auf der Buchmesse am Orbanism-Stand, fotografiert von Annika Kipper).
Der Literaturnobelpreis: geht in diesem Jahr an die weißrussische Journalistin Swetlana Alexijewitsch, was Iris Radisch von der „Zeit“ kritisiert. „Literatur muss etwas Schöpferisches haben. Sie muss ‚fiction‘, eine eigene Erfindung sein, sie muss eine besondere Sprachqualität haben, und sie muss – das ist ganz wichtig – eine eigene imaginative und weltverwandelnde Kraft haben.“ Vielleicht sollte man sie erinnern, dass 1902 Theodor Mommsen den Preis für seine „Römische Geschichte“ erhielt. 1908 wurde der Philosoph Rudolf Eucken ausgezeichnet „für seine Weltanschauung und deren Darstellung“. Außerdem war da noch der britische Premierminister Winston Churchill, laut Arno Schmidt „ein ausgesprochener Journalist von Mittelmaß“, dem 1953 der Nobelpreis verliehen wurde.
Das Raunen im Wald: Es ist zu leicht, den SPIEGEL-Essay „Der letzte Deutsche“ von Botho Strauß auf Sätze zu reduzieren wie: „Ich möchte lieber in einem aussterbenden Volk leben als in einem, das aus vorwiegend ökonomisch-demografischen Spekulationen mit fremden Völkern aufgemischt, verjüngt wird, einem vitalen.“ Es ist wenig hilfreich, wenn Martin Mosebach in der Aufzählung von Strauß’ Referenzen Celan unerwähnt lässt. Man kann die Problematisierung von Dirk Pilz in der Berliner Zeitung verstehen, auch die Analyse von Dietmar Dath in der F.A.Z., die sich am Deutschsein abarbeitet. Auf der Messe habe ich mit Cornelia Travnicek (Bild links), Nora Gomringer, Ilija Trojanow und Feridun Zaimoglu darüber gesprochen, ob das auch von Strauß propagierte Konzept der Nationalliteratur überholt ist.
Mehr zu diesem Thema gibt es bald in einem Zündfunk-Generator auf Bayern 2. Es klingt jedenfalls wie Raunen aus einer wirklich vergangenen Zeit, wenn Strauß’ den französischen Lyriker Paul Valéry (Bild) mit den Worten zitiert: „Die Dichtung hat die Aufgabe, die Sprache einer Nation in einigen vollendeten Anwendungen zu zeigen.“ Es wird noch darüber zu sprechen sein, warum selbst ein Germanist keine Angst haben muss, die Romantik werde ausgelöscht – als ob der „West-östliche Diwan“ nur etwas gelte, wenn er von Goethe beschrieben wird. Behalten wir besser demütig in Erinnerung, wer das Erbe unseres Abendlandes im Mittalter bewahrt hat, als hier die Klöster brannten. Es waren keine Christen, sondern Moslems. Aus.
Kerngeschäft Nichtstun: Damit umschreibt ausgerechnet der eh an Bescheidenheit kaum zu unterbietende Schweizer Autor Peter Stamm (hier im Blog), dessen klare, helle Sprache das exakte Gegenteil zum düsteren Botho Strauß ist, sein Tun. In seiner Rede zur Eröffnung von Zürich liest’15 entwirft er quasi das Gegenprogramm zu Valéry, wenn er sagt: „So sehr die Leserinnen und Leser unsere Texte lieben mögen – es bleibt, Literatur hat keinen Zweck, keine Funktion im Räderwerk der Welt.“ Nonchalant spricht Peter Stamm über jene Kollegen, die fleißig dickste Bücher verfassen, sodass sie ja keiner der Faulheit zeiht. „Schriftsteller sind keine Intellektuellen per se, sie sind Künstler, Gaukler, Zauberer, wie Thomas Mann von seinen Kindern genannt wurde. Politisch sind sie – wenn sie sich nicht im Mainstream treiben lassen – nur zu oft naiv.“ (Bild: Wikipedia)
Mammut: „Jörg Schröder kennt alle Welt. Und alle kennen Schröder, zumindest die ganze Branche; die Schreiber, Feuilletonisten, Multiplikatoren, Redakteure. Jeden hat er schon verlegt oder geliebt, oder übel beleumundet, oder mit einem Prozeß überzogen, jedem hat er schon zumindest Geld geliehen, eine Kiste besten Weins geschickt oder zumindest betrunken und dröhnend Welt, Wahrheit, Leben erklärt.“ Rainald Goetz schrieb 1984 eine Hymne für den Spiegel, die nie gedruckt wurde. März-Verleger Schröder (Bild rechts mit Barbara Kalender) zeigt sie nun hier im taz-Blog.
Podium: Ich könnte nun viel schreiben über die Diskussion am Buchmessensamstag, aber das haben unter anderem „Sinn und Verstand“, „Novelero“, „Lust auf Lesen“ und das „Börsenblatt“ getan, während der prägendste Moment meiner Frankfurter Tage der Apéro im Zelt von Kein & Aber war, wo Diageo für die Drinks sorgten (für den Hinweis werde ich nicht bezahlt, es war nur so geil) – Gin Tonic mit Tanqueray mit Eis aus 25-Zentimeterblöcken gehauen, Five-Spice-Punch (allerdings mit Gin), dann Eistee auf Roggen-Whisky-Basis mit Aprikosensaft und Zitrone und (im Bild links) eine extrem scharfe Margartia. Ach ja, Bücher gab es ebenfalls. Auf der Rückfahrt habe ich begeistert den bald erscheinenden Band mit diesen frühesten Erzählungen von Truman Capote durchgelesen.
Pausenbild
Noch in diesem Jahr erscheint die dann gedruckte Neuauflage von „Twitteratur“ (hier vorgestellt in der Welt) bei Frohmann / Berlin. Sandra Annika Meyer und ich schreiben bereits. Im aktuellen Katalog der Mayerschen Buchhandlungen habe ich eine Kurzfassung über diese „digitalen Kürzestschreibweisen“ veröffentlicht – und dazu drei allerknappste Buchtipps gegeben.
Konsuminventur
Konsum pervers: Zuerst wollte ich nur die schönsten Särge des Jahres 2015 zeigen, die „bestattungen.de“ hier in aller kitschigen Pracht versammelt hat – doch dann hat Utopia in bester Buzzfeed-Manier zwölf Bilder gesammelt, die den Wahnsinn Konsum belegen. Einige sind bekannt: Die geschälten Bananen im Plastik, die Coladosen (rechts), die @martintillich in Hongkong gefunden hat. Wer also wissen will, wie wenig Näherinnen für ein Markenshirt bekommen und weshalb wir alle Zombies sind, der klicke hier.