Dass Carl-Christian Elze ein großes komödiantisches Talent besitzt, hat er bereits mit Lyrikbänden wie „ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist“ bewiesen. Mit den Geschichten aus „Aufzeichnungen eines albernen Menschen“ setzt er nun eine Schippe drauf.
Robert Walser wird eingangs des Gedichtbandes zitiert: „Finden Sie nicht auch, dass die jetzigen Lyriker zu malerisch empfinden? Sie haben geradezu Angst, ihre Gefühle zu zeigen. Da suchen sie denn als Ersatz nach originellen Bildern. Aber machen Bilder das Wesen eines guten Gedichtes aus? Gibt nicht erst die Empfindung jedem Gedicht seinen Herzschlag?‘“ (9. April 1945 beim Mittagessen im Schäfli von Trogen mit Wandergefährte und Vormund Carl Seeling). Der Zweite Weltkrieg war zu dem Zeitpunkt nicht beendet. Am 9. April wurde Königsberg von sowjetischen Truppen erobert. Adolf Hitler lebte noch, und der längst umnachtete Robert Walser debattierte lyrische Ästhetik.
Carl-Christian Elze ironisiert Walsers alberne Forderung wie im titelgebenden Stück: „ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist/ich bin immer versalzen, aber das süße halt ich nicht aus (…) in den dünen finden sich manchmal die knochen von engeln. trete ich aus meinem turm heraus, liebe ich heftig die sonne.“ Es sind Verse, die wie Kommentare zur Philipp Poisel-Breitbandemotifikation („Wo fängt Dein Himmel an“) wirken, unterbrochen von durchaus ernst gemeinten, in ihrer Schlichtheit überzeugenden Gegenwartsempfindungen: „ich habe noch nie in mir geruht. wie wär das schön./da tobten stürme, ruhm & ehre, eitelkeiten im gewölk/& ich: ich sitze da & schau dem gras beim wachsen zu.“ (22) Carl-Christian Elze wurde der Förderpreis zum Ringelnatz-Preis 2014 verliehen, weil er nach Urteil Ulrike Draesners einer ist, „der die Tiere und die Verse kennt, uns mit zärtlicher Ironie berührt, kundig nach unseren Körpern fragt − und uns mit geschickt leichter Hand in Gedichträume führt, die sie uns fühlen lassen, die berückende Nähe von Komik und Ernst, von Groteske, Verzweiflung und Lebensmut.“
Diese Ironie taucht in gesteigerter Form jetzt auch in Carl-Christian Elzes „Aufzeichnungen eines albernen Menschen“ auf, gleich am Anfang gezeigt, wenn ein gescheiterter Elektronikfachverkäufer aus Versehen 2500 Tapedecks ordert – im Jahr 2014. Die Lösung ist eben so kreativ wie selbstverständlich albern: Der Mann bricht in die Wohnungen seiner Nachbarn (aller Nachbarn!) ein und hinterlässt eine Kassette auf dem Nachttisch. Wer diese hören will, der kauft sich ein Abspielgerät. Klingt albern? Ist es auch, so wie nahezu jede der sechzehn hintersinnigen „Aufzeichnungen eines albernen Menschen“. Sie tragen harmlose Einwort-Überschriften, heißen „Großmütter“, „Gehirn“, „Enten“ und nur einmal: „Geist oder der Bauer zu Nathal“.
Dahinter stecken oft absurde Dramen. Ein Junge berichtet in täglich abgeschickten Postkarten und Briefen vom Urlaub am Scharmützelsee 1984: „Lieber Vati, liebe Mutti und liebe Katja! (…) Unser Gruppenleiter Uwe (Herr Rommel) ist sehr für Ordnung und es gibt öfters Schimpfe.“ Dummerweise hat Herr Rommel kein Verständnis für Schwächen. Der arme Junge wird zusehends abgewrackt. Jede neue Karte klingt leidender, die Schmerzen des Jungen nehmen zu. Er hat Ohrgeräusche, steht kurz vorm Kollaps. Darf man das noch albern nennen? Ist es Schabernack?
Es ist mindestens ebenso Schabernack wie die Idee, einen gegenüber wohnenden Romanautor mit gefakten Liebesbriefen aus dem Haus zu locken (der Neid des armen Dichters auf den gut genährten Prosaisten). Auch ist es ebenso schockierend wie albern, wenn im Schulaufsatz die Sätze stehen:
“Der Egoismus eines Kindes ist unermesslich. Er stürzt sich wie ein Greifvogel auf alle Eltern und muss beizeiten gezüchtigt werden – im Interesse der Menschheit. Ein Kind darf nicht glauben, es sei allein auf der Welt und die Interessen der Eltern existierten nicht oder die Interessen der Eltern diene nur einem einzigen Zweck, nämlich den Interessen des Kindes zu dienen. So weit darf es nicht kommen, dass Kinder ihre Eltern quälen und nie zufrieden sind.“ Die Geschichten sind immer Übertreibungen, aber dann doch nicht zu weit weg vom Wahnsinn der Gegenwart. Da versucht ein Hilfsbestatter, seinen Pleitebetrieb zu retten, indem „unser Bestattungshaus das erste Bestattungshaus sein wird, was sich vertraglich dazu verpflichtet, zurückgebliebene Haustiere bis zu ihrem natürlichen Ende zu pflegen und dann ebenfalls zu bestatten.“ Reportage aus einer albernen Welt – gar nicht so weit weg vom Jetzt.
Carl-Christian Elze: „Aufzeichungen eines albernen Menschen“, Verlagshaus J. Frank, 132 Seiten, 13,90 Euro / „ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist“, Luxbooks, 120 Seiten, 22 Euro